Verstörte Becker – Dieser Mann trinkt viel… EP
Slime, Kassierer, Lokalmatadore sowie Pott Riddim. Aus Musikern dieser Bands setzt sich Ruhrpott-Combo Verstörte Becker zusammen und mit diesen großen Namen wurden sie auch ausgiebig beworben, noch bevor sie überhaupt einen Ton veröffentlichten. Immerhin drei „Legenden“ der Punkgeschichte werden hier großspurig in den Ring geworfen. Die Fallhöhe ist dementsprechend und die Erwartungen auch. Fluch oder Segen?
Im Herbst 2021 machten die Verstörten Becker dann mit „Dieser Mann trinkt viel…“ auf sich aufmerksam – und enttäuschten direkt. Der Song plätschert vor sich hin. Die langgezogenen Gesangparts wirkten irgendwie befremdlich. Da blieb einfach nichts im Ohr hängen. Als Albumintro wäre das OK, aber als erster Aufschlag einer Band mit bekannten Musikern leider nicht. Die zweite Auskoppelung „Taugenichts“ hob die Welt auch nicht aus den Angeln, machte aber schon ein bisschen mehr Spaß und klang wie einer der besseren Kassierer-Songs, die nie wirklich bekannt werden, weil es nicht um Sex, Fäkalien oder exzessives Trinken geht.
Aber dann wurde es geil, denn vor einigen Wochen erschien uns „Hitlers Schwanz.“ Der Song ist, wie sich einige wohl schon gedacht haben, ein sehr freies Cover der wütenden Samoaner. Hier haben wir einen kurzen, knackigen Mitgröhlsong mit ironisch-antifaschistischem Unterton über des Führers Phallus. Da stand (hihi) sicherlich Alex Schwers Liebe zum alten US-Hardcore und seine Freundschaft zu Jeff Dahl Pate. Frivol-Obszön ohne „Fotze Fotze“-Refrain und käsige Schwabbeloberkörperfreiskins. So sollte Ruhrpott-Herrenhumor 2022.
Nun kennen wir schon drei von vier Liedern. Noch unveröffentlicht und erstmalig auf der EP, die am 14. April auf Aggressive Punk Produktion erscheint, ist „Polaroid.“ Hier trauert man einer verflossenen und nach Berlin verzogenen Beziehung her und reflektiert noch gleich ein wenig das Altern und die Vergänglichkeit in der Punkszene, ohne die „guten alten Zeiten“ zu verklären. Klappt schön unpeinlich, funktioniert ohne Pathos und spricht sicherlich vielen in der Generation der Becker gerade aus dem Herzen, die Stück für Stück „ihre“ Szene biologisch und sozial bedingt verschwinden sehen.
Aber weil es die Kaufentscheidung für die EP beeinflussen wird, soll doch noch einmal auf das propagierte „Supergroup“-Attribut der Band eingegangen werden: Verstörte Becker sind nicht Slimierermatadoreriddim, sondern eine eigenständige Kapelle mit Potential. Und so kann man sie sich auch geben. Die Vergleiche werden aber trotzdem kommen und so kann man zumindest nach den ersten vier Liedern festhalten: Slime und Pott Riddim hört man zu keiner Sekunde raus, Lokalmatadore durch Fischs vertraute Stimme natürlich schon. Kassierer-Kenner werden auch diese Band wiederfinden. Man hört Nicos Gitarre Kassierer-Gitarre zweifellos heraus. Und diese beiden Bands wären auch die Zielgruppe der Verstörten Becker-Ultras.
Über die knallbunte EP freuen dürfen sich also alle diejenigen, die seit 2010 auf ein neues reguläres Kassierer- bzw. Lokalmatadore-Album warten. Seitdem ist bei diesen Bands nämlich nichts mehr wirklich passiert und wahrscheinlich erwartet da auch niemand mehr etwas. Vielleicht ist es auch ganz gut, keine toten Pferde zu reiten, sondern etwas Neues zu starten und die noch vorhandene kreative Energie in einer neuen Band zu kanalisieren. Mit den Verstörten Beckern gelingt das auf jeden Fall.