Bimmi von THE MELMACS im Interview

Heute gibts hier mal wieder ordentlichen Sachsen-Content, den ihr mit einem weinenden, aber mindestens auch zwei lachenden Augen lesen könnt. Zieht euch einfach mal rein, was Bimmi von The Melmacs so an Erlebnissen und Ansichten auf den Tisch packt – und denkt vor allem auch mal drüber nach. Super Interview, mir hats echt ein bisschen das Herz weggefetzt. Bis nächste Woche!

Hallo Bimmi, super, dass du Zeit hast mir hier in der Interview-Reihe ein paar Fragen zu beantworten.

Hi Chrissi! Jups, klaro! Danke fürs Fragen und Beackern dieser wichtigen Themen – sehr, sehr gerne!

Erstmal zu dir, wie bist zur Musik gekommen? Hast du vor The Melmacs schon in anderen Bands gespielt?

Für mich ging es früh an der Kreismusikschule Bautzen steil. Ich habe das Itsy-Bitsy-Spinne-Lied auf der Flöte gezockt, danach gab es jahrelang Klavierunterricht bis ich noch Schlagzeug lernen wollte. Das ging aber nicht. Danke, Plattenbauakustik. Dafür weiß ich, was A-Moll und G-Dur sind. Die Kracher auf den Tasten hießen „Der Mai ist gekommen“ und als er wieder gegangen ist, bin ich saisonal auf „Jingle Bells“ umgeschwungen. Später habe ich ABBA und die Beatles zum Besten gegeben. Meine Nachbarn kannten neben den Onkelz nun auch Let It Be. Ich fand das irgendwie passend. Mit 14 wurde das aber lame. Viele Freunde waren in Punkbands und spielten da Gitarre, Bass und Drums. Ich saß vor meinem Bucheholzregal und Roland, meinem Keyboard, den damals niemand im Punk brauchte. Musik gemacht habe ich dann nur noch im Publikum von Konzerten bis die Stimme heiser und die Kröten verbimmelt waren.

Meine erste Band war übrigens der Schulchor. Nee, keine Deutschpunk-Band. Mitgemacht habe ich, weil ich in der Masse untergehen konnte und mir so oft die Singe-Kontrollen im Musikunterricht erspart blieb. Die haben mir nicht nur Lemon Tree und Paint It Black von den Stones versaut, sondern auch meine Unbekümmertheit, vor Leuten zu singen. Alle wurden dafür ausgelacht. Von allen – Pubertierende halt. Und da keine*r gern für das ausgelacht wird, für das eh schon Mut dazu gehört, habe ich mich nie nie wieder getraut, zu singen. Bei allen anderen Dingen war mir das völlig Hupe – aber beim Singen war Sense.

Irgendwann habe ich angefangen, zusammen mit Remo und Max halb-versteckt Musik zu machen. Es ging um Remis Akustik-Projekt Remo Devago – Max dazu auf der Gitarre, ich auf Kreismusikschul-Roland. Plötzlich sollte ich Background singen. Abfahrt! Keine Chance. Die beiden haben aber immer wieder Versuche gestartet – dann der Durchbruch: 3 Worte Backings. Wow. Großes Lob der beiden. Ein ernst gemeintes vor allem. Dafür, dass ich mich getraut hatte. Eines abends waren wir dann leicht angekippt in der Chemiefabrik in Dresden. Max und Remo haben gefachsimpelt, was sie starten und wer singen könnte. „Laser-Bimmi macht das“ war Max‘ Antwort. Ich stand zufällig daneben und meinte „Okay“und war dann selbst erstaunt, als ich dann wirklich mit Mikro im Proberaum stand – absolut null Plan, was ich hier tue, aber fetzt! Zusammen mit Connie an den Drums gings es dann Ende 2018 los mit den Melmacs – meine erste richtige Band. Und dann auch noch mit Roland anno 1996!

Ein geiler Einstieg! Wo habt ihr schon überall gezockt, gibt es ein besonders tolles Konzert oder eine Location, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Huii, ich freue mich so darüber, in das Melmacs-Ding hinein geschliddert zu sein, dass ich jeden einzelnen Gig super doll schätze. Ob die Location groß oder klein ist, ob sie in einem Szenekiez mit 100 Leuten im Publikum oder in Hintertupfing mit 5 Leuten liegt, ist mir Schnuppe. Ich liebe es einfach, mit fremden Menschen, mit denen es aber sofort vibet, eine richtig gute Zeit zu haben und sich gegenseitig mitzureißen und wertzuschätzen. Das ist bei uns glücklicherweise bisher bei vielen Bands und Locations der Fall gewesen – ich denk da an die süßeste Crew vom Klubhaus in Saalfeld, an unsere legendäre Minitour mit Piefke, an die beste Zeit mit Ben und Maria von true believers shows und den Meinheimers-Mäusen in Hannover, ans Nikola-Tesla in Chemnitz, an Thomas und Badi in Innsbruck, an Nolti vom New Rose Punkrock Radio, an die schönsten Festival-Sausen aufm Back To Future und Rock’n’Wagon Festival, an unsere Gigs mit FCKR im Conne Island oder, oder, oder! Das ist immer so viel positive Energie, gute Musik, schöne Gefühle, gute Gespräche, zu viel und zu wenig Alkohol, Sonnenstrahlen am nächsten Morgen – ich mag einfach alles daran!

Da komme ich direkt mit ins Schwärmen… Wir haben aber irgendwie immer noch Corona, habt ihr die Zeit genutzt, um was neues aufzunehmen? Wie steht ihr zu Live Streams?

Wir tüfteln gerade an unserem ersten Album. Das zieht sich schon seit einem Jahr, dafür ist alles handverlesen. Wir stecken mitten in den Aufnahmen, die wir dank Mäximum Heat (Glooven Studios, Leipzig) luxuriös selbst machen können. Und sobald wir genug Pfandflaschen sammeln waren, um eine Vinyl daraus zu pressen, kommt es Frühjahr oder später endlich bei Kaufland ins CD-Regal. Jippie!

Und zu Live-Streams: Maaah, ich habe mir 3 streams angeguckt. Die ersten beiden motivierter, den dritten aus Verzweiflung. Ich verstehe das alles und ich verstehe auch, warum es vielen Bands etwas gibt. Ist bei mir nicht so. Mir fehlen die Menschen. Reine Konzerte-Livestreams würde ich nicht spielen. Anders ist es, wenn das Ding einer guten Sache dient, z.B. um Clubs oder Organisationen zu supporten. Aber auch da hab ich während der Pandemie eher andere Wege eingeschlagen.

Hast du persönliche Vorbilder in Sachen (Frauen)-Punkrock? Wen und warum? 

Ich habe mit Absicht keine bewussten Vorbilder, auch wenn ich Wegbereiter*innen und Urgesteine natürlich in vielerlei Hinsicht wichtig und spitze finde. Ich mag mich aber nicht an große Namen oder eine bestimmte Art und Weise, Musik oder Dinge zu machen, hängen. Ich will einfach aus mir heraus tun, was sich für mich gut anfühlt – als kleines Würmchen in einer großen Enterobiose. Oft dienen große Namen ja auch als Maßstab. „Du klingst wie…“ – maaah! Ich weiß, das ist oft lieb gemeint, aber ich will einfach mein Ding machen – auch wenn ich manchmal nicht weiß, wie das am Ende ganz konkret aussieht und wozu es gehört und deswegen viele Leute das Bedürfnis haben, zu kategorisieren. Wichtiger sind für mich die Menschen, die mich umgeben, gut auszuwählen. Meine engen Freund*innen zum Beispiel strahlen und inspirieren auf so vielen, verschiedenen Ebenen: Werte, Attitüden, Entscheidungen, Lebensläufe, Ideen, Reaktionen auf Themen oder Fragen, Ausstrahlung oder Aura. Sowas ist für mich viel geiler, bereichernder und intensiver.

Ok, das ist ja auch ne Message. Kommen wir zu meiner Lieblingsfrage: Was denkst du sind die Gründe dafür, dass auf den Bühnen immer noch mehr Männer als Frauen bzw. FLINTA* zu sehen sind?

The one and only Patriarchat. Wie so oft. Frauen bzw. FLINTA* sind immer noch die Menschen, die übermäßig bewertet werden, erotisch oder bieder sind – je nachdem, wie sie sich anziehen oder auf Themen oder Angebote reagieren und demnach auch begehrenswert sind oder nicht. Logischerweise entscheiden das Männer, die wiederum härtere Musik für harte boys hören und beim Däncen alle wegmännern müssen. Und so weiter blablabla möp! Aber: Das sind halt platte Beispiele für sehr tief sitzende, gesellschaftliche Strukturen und Rollenerwartungen, die sich auch bis in linke Subkulturen ziehen. Ich hatte keine Bock, bewertet zu werden. Also bin ich nicht auf die Bühne. Völliger Bullshit, rückblickend betrachtet. Aber real. Und sowas müssen wir doch gemeinsam durchbrechen. Und wo auf der Welt, wenn nicht im Punk, haben wir denn bitte noch so gute Werte-Voraussetzungen? Übrigens kommt es mir mega weird vor, hier nur über Frauen zu schreiben, ich habe mich aber darauf beschränkt, weil das der Fokus der Interview-Reihe ist und meine persönlichen Erfahrungen sind.

Und noch eine interessante Weltanschauung: Frauen nehmen Männern die Gigplätze weg. Hahahah! Ein Bekannter, mittlerweile Unbekannter, war mal höllisch angepisst, weil er keine Gigs bekam. Bands mit schlechtem Frauengesang bekämen die ja viel einfacher – und zählte die paar Bands ohne Männerstimme aus Sachsen auf. Könnten wir bitte irgendwie für Taschentücher zusammenlegen und ihm welche zuschicken? Die wird er in Zukunft brauchen.

Meine Taschentücher geb ich dafür schon mal her. Hast du als Musikerin schonmal negative Erfahrungen mit Sexismus oder Benachteiligung gemacht oder hat dir mal jemand versucht zu erklären, wie du ins Mikro singen sollst?

Check, check uuuuuund check. Jip, kannste überall den Haken dahinter setzen. Ich kenne auch keine Frau, die frei von diesen Erfahrungen ist. Ein süßes, ein mittelschweres und ein großes Beispiel von mir:

Meistens ist im Laufe eines Gigabends immer ein boy dabei, der sagt, dass er pupsen muss, aber das Frauen ja ekelig finden. Ich sage der Person dann meistens, dass er doch einfach nachfragen kann, wenn es ihm wichtig ist – einfach um gegenzuchecken, ob das denn überhaupt so ist. Immerhin zerrupft es den Guten dann nicht. Analog dazu gibt es zig ähnliche Situationen. Bitte keine extra Vurst! Wenn mich etwas stört, dann sag ich das doch. Thank yyyyou! Auch gut: „Gehörst du zur Band? Merch ist da drüben – frag mal die Band, vielleicht darfst du ja schon aufbauen, dann stehst du hier nicht so im Weg rum.“ Oooookay. Tschaui! Und last but not least: Ich sitze im Schlabber-Pullover an der Bar vor einem Gig, da fragt mich ein wildfremder Typ: „Sag mal, du ziehst dich schon noch um, oder?“ Uff. An manchen Tagen weiß ich nicht, bis wohin ich bei so einem Spruch ausholen soll. An anderen Tagen konter ich so, dass der Typ nichts mehr sagt. Und manchmal starte ich eine nette Grundsatzdiskussion. Feminismus ist bei mir mal laut und mal leise, aber immer da.

Aber ich habe auch noch voll gute Situationen und positiven Input im Gepäck:

Numero uno: Nach dem Period-Power-Gig in der Chemiefabrik Dresden hatte ich ein tolles Gespräch mit einem Mannomann: „Ich fand das ganz lang ekelig, aber an sich stimmt das schon – eigentlich ist mir das völlig Banane. Ich sprech da mal mit meiner Freundin drüber!“ Und ALLERBESTER Move überhaupt on tour: Meine Periodenunterwäsche war vollgeblutet. Ich hatte keine mehr mit. Ich frage laut nach Tampons. Ein lieber Typ reicht mir ganz selbstverständlich einen rüber: „Jup, hier, bitte!“ Wie gut ist das bitte. Mehr davon!

Nummer zwei: Auf einem Festival wurde ich nach einem Gig mal nach Sex gefragt: Aber überhaupt nicht plump, absolut an mir als Mensch interessiert, völlig respektvoll und NULL mackerhaft. Ich hab dankend abgelehnt, er hat das sofort akzeptiert und meine vermeintliche Abfuhr auch nicht als Angriff auf seine Männlichkeit gesehen. Träumchen! Hab ich ihm auch direkt gesagt und ihn mit Komplimenten überschüttet. So, so schön und angenehm!

Und zum Thema „Tontechniker, die mir erklären, wie ich ins Mikro singe“: Bei mir kommt tatsächlich hinzu, dass ich Technik selten verstehen will und sie im besten Fall einfach funktioniert. Das macht das ganze Rollengeplänkel oft nicht besser, aber ich hatte sehr oft Tontechniker, die super angenehm und auf Augenhöhe erklärt und nachgefragt und mich nicht belächelt haben. Besonders spitze fand ich auch das Techniker*innen-Kollektiv in Potsdam!

Bezeichnest du dich als Feministin und wenn ja, was bedeutet das für dich?

Ja, zu 1000 Prozent. Zum Einen, weil ich es will und es für mich keine andere Option gibt – die würde für mich nämlich bedeuten, nicht ich und nicht bei mir sein zu können. Und zum Anderen, weil die Welt ohne noch mehr im Arsch ist und bald dicht machen kann wie die Kneipen im März 2020. Mir ist dabei aber eins sehr wichtig: Un-Perfektion. Wer Dinge verändern mag und sich verändert, macht Fehler. Oder würde Sachen heute anders tun als noch vor Jahren. Das wichtige ist dabei nicht der Fehler, sondern die Erkenntnis darüber. Das ganze ist ein riesiger Prozess. Global, gesellschaftlich und individuell.

Für mich als kleine Miniperson in einer großen Welt heißt das: Ich lerne super viel über mich selbst, entwickel mich weiter und verändere mich. Das heißt nicht, dass ich meine Werte nach dem Wind ausrichte, aber dass ich Einstellungen und Verhaltensweisen überdenke: Warum habe ich nicht gesungen, obwohl es mir Spaß macht? Warum will ich mich schminken, wenn ich einen Gig habe? Und und und. Das ist mega geil und super wichtig, das WIRKLICH zu wissen: Tue ich es für mich oder aus einer gesellschaftlichen Erwartung heraus? Aus Angst, nicht genug zu sein? Wenn, ja, woher kommt das? Im Prinzip werden wir alle als Feminist*innen geboren – nur oft als das Gegenteil sozialisiert. Das heißt aber auch, dass wir locker Dinge verändern können! Es gibt natürlich noch zig Meta-Perspektiven auf das Thema Feminismus.

Bei allem geht es aus meiner Sicht aber ums Reflektieren, ums Lautsein, um Empathie, Augenhöhe und ums Machen. Ich habe oft das Gefühl, dass wir uns hier den Druck machen, den wir eigentlich los werden wollen. Auf die Fehler der anderen warten. Die rasierten Beine an der Feministin suchen. Den Ledergürtel an der Veganer*in. Den VW-Bus der Klimaaktivist*innen. Warum?!

Gute Frage. Nächste Frage: Einmal selbst entscheiden: Was wäre für dich das perfekte Festival-Lineup?

Oar, das ist als würdest du mich nach zwei Jahren Taco-Abstinenz fragen, welche Tacos ich essen mag: Ist mir scheiß egal! Hauptsache vegan. Aber unter normalen Umständen ginge das Festival mindestens drei Wochen. Irgendwo zwischen Bergen und Sandstrand. Und zwischendrin mindestens GIUDA, Mad Rollers, Amyl & The Sniffers, WYLDLIFE, Biters, The Speedways, UK Subs, The Baboon Show, TIPEX, The Bouncing Souls, Bad Cop Bad Cop, RVIVR, Impo & The Tents, The Briefs, Pale Lips, The Kids, Saturday’s Heroes, Eastie Rois, The Spartanics, Night Birds, Sheer Mag, Bombshell Rocks, Abjects, Furies, The Interrupters, SHOCKS, boar, ich werde nicht fertig und bin unterversorgt. Können wir auch Tote wiederbeleben? Dann wird die Liste noch länger.

Von mir aus auch Tote 😀

Gibt es besondere Projekte, Bands, Labels, Kollektive oder sonst irgendwas, was du unseren Leser*innen empfehlen kannst?

Ha! Die habe ich in meinen anderen Antworten versteckt. Könnt ihr hier so kreuzworträtselmässig eintragen:

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Bitte einmal ausdrucken und ans Plastic Bomb senden, haha! Okay, letzte Frage: Willst du noch etwas loswerden, was bisher nicht zur Sprache kam?

Jups: Danke an alle, die das bis hier hin gelesen haben und sich meine Perspektive reinleiern.
Und ansonsten: Wenn ihr Menschen da am Bildschirm irgendwas habt, was euch Spaß macht, euch aus der Versenkung zieht und mit positiver Energie versorgt, dann MACHT DAS! Und macht es, wo und wie und wann auch immer euch danach ist! Es ist super geil, für sich mutig zu sein! Jede*r Mensch strugglet in irgendeiner Form. Ich, du, alle. Und Menschen machen deswegen Dinge nicht. Aber: Es ist komplett egal, wie euch andere bewerten. Gut, das immer umzusetzen, ist manchmal einfacher und manchmal schwerer, nur: Es wird immer Menschen geben, die das, was man tut, gut oder scheiße finden. Das ist auch völlig in Ordnung, aber deswegen kann man es auch einfach tun. Ok?

Vielen Dank für das erfrischende und ermutigende Interview, liebe Bimmi, bleib wie du bist und hoffentlich sehen wir uns bald mal auf nem Konzi!

Copyright Titelbild: Thoughtfulness photography by Lisa Hemp