Wenn der Punkopa erzählt
„Oh nein, Dackelblut!“ [Stoßseufzer anläßlich einer Fahrt nach Hamburg als die Kassette losging.] Mein Versagen als Erzieher.
Mein Sohn P. hat sich Karten für Helene Fischer gekauft. Nicht ironisch. Einfach so. Er hatte Bock.
Das allein ist meine Schuld [Rosenstolz], denn ich habe alles falsch gemacht. P. mag keine Plattenläden. Ich habe ihn als Kleinkind traumatisiert, als ich wie ferngesteuert das Garageland betrat und dabei vergaß, dass er auf meinen Schultern saß. Gestapelt passten wir nicht durch die Tür. P. meidet bis heute Trödelmärkte. Mein endloses Wühlen in Plattenkisten – für seine Begutachtung von Lego- und Playmobil-Tüten blieb wenig Zeit – machte Trödelmärkte für ihn zu No-Go-Areas. P. bekam als Heranwachsender eine Überdosis Dackelblut – Trend – Blumfeld ab. Er konnte sich nicht entziehen, er saß neben mir im Auto und ich folgte meinen Obsessionen. Speziell Blumfeld treibt ihn noch heute in den Wahnsinn. P. hat auch für Demos wenig übrig. Die 1. Mai – Demo war ein gemeinsamer Pflichttermin. Hoch! Die! Internationale! Solidarität! war ein Satz, der sehr früh und sehr penetrant in sein Hirn geprügelt wurde.
Ich kam als junger Vater auch nicht auf die Idee, dass eine Plastic-Bomb-Party (wir befinden uns historisch in der viele-Hunde-und-der-Tanz-um-das-offene-Feuer-Phase) womöglich kein guter Ort für Kinder ist.
Später beantwortete ich sein zartes Interesse an Billy Talent mit „Das ist doch kein Punk, hör‘ dir DAS [vermutlich irgendwas in der Crucifix oder Discharge-Klasse] mal an!“ Auch Techno machte ich zielsicher kaputt. Einen mir vorgespielten Track konterte ich mit den Rotterdam Terror Corps und Atari Teenage Riot. Mein „Hör‘ dir DAS mal an“ war obligatorisch.
Natürlich bekam ich die naheliegende und wohlverdiente Quittung für die Versuche, meinen Lifestyle zu seinem werden zu lassen. P. folgte einfach dem Naturgesetz: Ich will nicht werden, was mein Alter ist. It’s payback time. Bis heute.
P. interessiert sich grundsätzlich sehr wenig für Musik. P. verspottet meinen Vinyl-Fetisch wann immer er kann. P. fühlt sich von den Sleaford Mods gelangweilt. P. unterstellt Karies eine Blumfeld-Nähe (höchste Verachtungsstufe). P. stimmt den „Apfelmann“ an, um mich fertig zu machen. Überhaupt wissen all diese Bands doch gar nicht wo sie hinwollen und ich soll endlich erwachsen werden und aufhören mit meinem „Pseudo-Scheiß“ …. so geht es immer weiter. Zurecht.
Vermutlich ist meine Warnung hier überflüssig. Die jungen, subkulturellen Eltern heutzutage sind sicherlich viel smarter und kommen erst gar nicht auf die Idee, ihren Kindern ihren Lifestyle aufzuzwingen. Trotzdem: Kurzer Weihnachtsgeschenke-Check. Kein St. Pauli-Schlafanzug? Kein Ramones Shirt? Kein „erstes Vinyl“? Keine Dr. Martens in Größe 28? Safe!
Der Text erscheint mit freundlicher Genehmigung meines Sohnes.