Kent Nielsen – Wie aus mir kein Tänzer wurde (Buch)
Dänemark dürfte selbst für skandinavische Punk-Experten nicht gerade das Land sein, über dessen Szene sich allzu viel sagen lässt. Die Nachbarländer Finnland und Schweden hingegen konnten seit den Achtzigern tonnenweise Crust- und Anarchopunk-Größen exportieren. Die Schweden von Asta Kask schufen mit dem Trallpunk sogar ein eigenes Genre, während ab den Neunzigern aus Norwegen und Schweden mal mehr, mal weniger gute Punk’N’Roll-Bands Familienväter mit Sternchen- und Schwalbentattoos erfreuen. Die Skatepunker von Millencollin sind auch nicht zu vergessen.
Dänemark blieb lange einfach ein fast weißer Fleck auf der Landkarte für mich. Das Letzte, was ich in meiner selektiven Wahrnehmung von dort mitbekommen habe, waren die großartigen Night Fever aus Kopenhagen, aber lass das auch schon ein paar Jährchen her sein. Ansonsten bietet selbst der Wikipedia-Eintrag zu Punk- und Hardcore in Dänemark bis auf ein paar Aufzählungen von Bands viel Spielraum.
Dass aber sich auch in Dänemark in den späten Siebzigern wie in allen westlichen Staaten eine eigene Punkszene herausentwickelte, zeigt nun Kent Nielsen in seinem beim Ventil Verlag erschienenen Buch „Wie aus mit kein Tänzer wurde“ eindrucksvoll auf. Nielsen war Protagonist der ersten Stunde und so ist sein gut 200 Seiten starkes Buch eine gekonnte Mischung aus Autobiographie und der frühen dänischen Punk- und Hardcore-Geschichte inklusive Diskographie. Der Autor wuchs in Odense auf, einer Stadt auf der Insel Fünen. Wie die meisten Teenager erfuhr er zunächst aus den Medien und von älteren Bekannten von diesem neuen Ding namens Punk. Das war 1978 und Kent war 12. Schnell wurde er Teil der Szene, gab Zines raus und spielte selbst in den Bands No Name X und später L.U.L.L.. Wenig überraschend, dass Kent ansonsten wenig Interesse an einem bürgerlichen Leben hatte und sich teilweise obdachlos oder in besetzten Häusern und später auf einem Bauernhof mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Dazu gibt es in „Wie aus mir kein Tänzer wurde“ reichlich Sex und Gewalt, letztere meist ausgehend von Rockern, der Polizei und sogenannten Prolls, die einfach aus Prinzip den Punks auf die Fresse geben wollten. In den zehn Jahren des Bestehens macht Kent Nielsen einige szenetypische Heutungen durch: Vom eher unpolitischen Punkfan zum Polit-Aktivisten, vom Punkrock zum Hardcore, vom Säufer zum Edger (vom Rauchen mal abgesehen). Eine ganz normale Punkkarriere halt, die auch so den meisten anderen westlichen Staaten hätte stattfinden können.
Aber natürlich gab es in Dänemark auch regionale Besonderheiten. Angenehm fällt auf, dass sich die dortige Szene – zumindest nach Kents Schilderungen – in den Achtzigern nicht so sehr atomisiert hat und stilistisch offen war. Gemeinsame Festivals von poppigeren Synth-, Postpunk-, und Nietenkaiserbands bishin zu Metalheads schienen an der Tagesordnung zu sein und wenn eine Band ihren Stil änderte oder damit ein breiteres Publikum gewann, machte man es ihr offenbar nicht zum Vorwurf. Das hängt mit Sicherheit auch damit zusammen, dass Dänemark nicht gerade riesig ist und die Szene dementspreched klein. Konflikte gab es aber auch. Die Punks aus der Hauptstadt Kopenhagen kommen im Buch nicht so gut weg.
Sehr gelungen ist außerdem, wie Kent die Entwicklungen der Bands, von denen ich meist noch nie etwas gehört habe, nachzeichnet. Kenntnisreich schreibt er auf, wie sich manche verbessert, verschlechtert oder schlicht verändert haben und teilt seine Einschätzungen zu den jeweiligen Veröffentlichungen, die ebenfalls aufgelistet sind. Auch über tourende Bands wie die italienischen Negazione wird ebenso berichtet wie zu Verbindungen nach Deutschland, insbesondere Schleswig-Holstein und Hamburg. Ich rätsele immer noch, wie Kent es geschafft hat, sich über 30 Jahre an all die Details zu errinnern, zum Beispiel an die Qualität der einzelnen Auftritte der Bands. Oder war er so weitsichtig, sich direkt Notizen zu machen oder hat bereits in seinen Zines sehr genau alles protokolliert? Trotz seiner kompakten Form kommt „Wie aus mir kein Tänzer wurde“ mit einer Fülle von Details, die manchmal etwas wie eine Aufzählung daherkommen. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich wie schwer es sein kann, viel erzählen zu wollen und dafür nicht immer den spektakulären Übergang zu finden. Daher ist das zu entschuldigen.
„Wie aus mir kein Tänzer wurde“ schließt eine wichtige Lücke in der globalen Punk-Dokumentation und kombiniert angenehm unprätentiös erzählt eine ereignisreiche Jugend in der dänischen DIY-Szene der Achtziger mit einer Chronik der Szene.
Philipp Meinert
Kent Nielsen: Wie aus mir kein Tänzer wurde – Ein Leben in der dänischen Punk- und Hardcore-Szene
Ventil Verlag
Mainz 2018
216 Seiten
16,00 Euro