Rollenbilder, Privilegien, Selbstbilder und Auseinandersetzung.
Den Text hat Ronja geschrieben und im Plastic Bomb #124, Anfang/Mitte 2023 veröffentlicht. Im aktuellen Heft #126 ist ein Text von Tristan, der auf diesen Text hier Bezug nimmt.
Was für eine Überschrift, das heißt ja quasi „alles“ und gleichzeitig „nichts“.
Ich erklär euch, was ich damit meine.
Das Wort „Emanzipation“ kennt ihr ja vermutlich schon lange, egal, was ihr jetzt ganz konkret damit verbindet. Die meisten Menschen verbinden das in ihrem Hirn als „irgendwas mit Frauen und so“. Ich hab das mal für euch bei Wikipedia nachgeschlagen, da steht:
Emanzipation stammt von dem lateinischen Wort emancipatio, das „Entlassung des Sohnes aus der väterlichen Gewalt“ bedeutet.
Aha. Also erst mal nichts mit Frauen. Im Laufe der Geschichte wurde Emanzipation immer wieder im Zusammenhang mit Frauenbewegungen genannt, daher kommt vermutlich die Verknüpfung im Gehirn. Meistens macht man sich aber nicht mal die Mühe, „Weibliche“ davor zu setzen.
Aber was ist denn jetzt mit Männlicher Emanzipation?
Zur Info, das hier wird kein wissenschaftlicher Abriss, sondern ein Blick auf die Punkszene. Ist ja auch ein Punkfanzine.
Man könnte ja meinen, dass Cis-Männer in erster Linie von patriarchalen Strukturen profitieren. Selbst, wenn sie diese nicht befürworten, sondern sich selbst als moderne, unterstützende Punk-Typen betrachten, die ein politisches Bewusstsein haben, das Patriarchat, den Kapitalismus und jede Form von Unterdrückung blöd finden, profitieren sie von diesen Strukturen, ob sie das wahr haben wollen, oder nicht.
Auch, wenn sie sich die Haare bunt färben, sich die Nägel lackieren, in der Arbeit der Paradiesvogel sind und am Wochenende im #punktoo Shirt auf der Bühne stehen, profitieren sie von Patriarchalen Strukturen, das kann man ja einfach mal so sagen.
„Cis“ bedeutet, dass du dich mit dem Geschlecht, welches man dir bei deiner Geburt zugewiesen hat, ok bist. Dass du dich damit identifizieren kannst und cool damit bist.
Dennoch passiert es in (Online-)Diskussionen nicht selten, dass man den Ausdruck „Cis-Dude“ oder „Cis-Mann“ verwendet und sich sofort ne Reihe von Typen angepisst fühlt.
Warum ist das so?
Weiß ich nicht genau, da müsst ihr vielleicht mal kurz inne halten, in euch rein fühlen und selbst raus kriegen, warum der Begriff ein leichtes Bruststechen auslöst.
Ich kann nur raten. Und meine cis-männlichen Kumpels fragen. So kam ich zu dem Eindruck, dass es vielleicht daran liegt, dass es für Cis-Dudes lange keinen Grund gab, sich labeln zu lassen. Wir sprechen in der Punkszene seit langer Zeit über die Probleme von Frauen, von Homosexuellen Punks, von nicht-weißen Punks, Trans- und Nonbinären Punks.
Und dann gibt’s halt noch die Männer. Die sind normal. Die sind halt immer da. Die stehen auf der Bühne, spielen ein Instrument, geben Interviews und so weiter. Warum ist es nun nötig, sie mit diesem „Cis“ zu belästigen? Ihnen das Gefühl geben, dass sie in eine Schublade gesteckt werden?
Vielleicht, um klar zu machen, dass sie eben auch „nur“ eine von vielen Gruppen sind, deren Bedürfnisse und Wünsche, Probleme und Argumente einzeln verhandelt werden, dass sie aber keinesfalls die „Selbstverständlichkeit“ darstellen.
Cis-Männer sind es gewohnt, über allem zu schweben. Probleme haben (und machen) die Anderen, die marginalisierten Gruppen, die vulnerablen Gruppen, die um Aufmerksamkeit und Anerkennung kämpfen. Aber Männer, die sind halt einfach da.
Wo FLINTA (Frauen, Lesben, Inter-, Trans- und Nonbinary-Punks) viele Jahre eine Auseinandersetzung mit der eigenen Identität hatten, in Prinzip sogar genötigt waren, sich ihrer Selbst, ihren Wünschen, Forderungen, Vorwürfen, der eigenen Stärken und Schwächen und dem eigenen Platz in der Szene und in der Gesellschaft auseinander zu setzen. Und sich dieser oft sehr schmerzlich bewusst werden mussten, gehen Männer oft davon aus, dass das, was man tut und was man so erlebt, irgendwie selbstverständlich ist. Die Gesellschaft (und die Punkszene) weist Cis-Männern einen ziemlich bequemen Platz zu. Und dieser scheint offenbar so angenehm zu sein, dass es keinen Grund mehr gibt, ihn zu hinterfragen.
Das scheint mir so ungefähr der Grund, warum es in der Punkszene kaum sowas wie eine „Männliche Emanzipation“ zu beobachten gibt.
Was soll das überhaupt sein?!
Na ja, in meiner Phantasie mal eine öffentliche Auseinandersetzung damit, was für ein Cis-Mann man denn eigentlich sein will. Man will kein Sexist sein, klar. Man will Antifaschist sein, man will sich von vielen gesellschaftlich verordneten Rollenbildern abwenden, man will kein Macker sein, sich in keine Schubladen stecken lassen, weil man ja voll der Individualist ist. Das ist ja alles cool und wurde mit Sicherheit schon oft in Song- und Fanzine-Texten thematisiert.
Aber was und wie will man denn sein? Wie fühlt sich das an? Was hat einem geholfen, was überhaupt nicht und wie konnte man dann dran arbeiten?
Was hat man gelesen, mit wem hat man gesprochen?
Wie will man sich anderen gegenüber verhalten und am aller wichtigsten:
Wie will man aktiv daran mitgestalten, dass ALLE Punks, alle Menschen gleichwertig behandelt werden und die gleichen Privilegien haben…?
Wie kann man es schaffen, die eigenen Privilegien auch mal so einzusetzen, dass es anderen nutzt?
Das wären doch mal sehr positive, fruchtbare Ansätze.
Ich beobachte eigentlich immer nur das folgende Negativbeispiel:
Wenn ich in (online-)Diskussionen mitkriege, dass Cis-Dudes öffentlich darüber sprechen, wie sie sich im Rahmen ihrer Punksozialisation und ihrem erwachsen-werde-Prozess mit ihrer Männlichkeit auseinander gesetzt haben, läuft das meistens darauf hinaus, dass sie feststellen, dass sie nicht die „Männliche Härte“ aufbieten konnten/wollten, die die Gesellschaft und ihr Umfeld von ihnen erwartet hätten.
Oft wird das thematisiert, gepaart mit irgend einer traurigen Geschichte, in der „die Mädchen immer auf die harten Typen standen, man selbst aber nicht so hart war und darum nie ne Freundin hatte“.
Man hält sich meistens nur kurz mit der Feststellung der Probleme auf, nimmt dann aber meistens ganz schnell die Abzweigung Richtung „Schuldzuweisung“ und landet dabei gern bei irgend einer Exfreundin, die total verrückt war und man deshalb erst mal klar kommen musste.
Und so geht’s dann meistens nicht um eine angemessene Auseinandersetzung mit dem „harte Männer sein“, Boys don’t cry und so weiter. Sondern darum, dass auch die Jungs, die sich oft für rücksichtsvoll und unterstützend halten, durch das pure Ausleben der Privilegien und das Reproduzieren von frauenfeindlichen Klischees überhaupt nicht hilfreich sind, sondern nur ein hierarchisches System unterstützen, das in der Punkszene und in der Gesellschaft seit vielen Jahren selbstverständlich ist.
Kaum ein Jugend-Punk-Roman bzw Fanzinegeschichte aus der Jugend des jeweiligen Autors kommen ohne eine „heranwachsender Mann“ Figur aus, die „verwirrt und orientierungslos“ war. Aber so geht es ja vermutlich die meisten Jugendlichen, egal welchen Geschlechts.
Jeder Mensch hat einen Grund, ihren/seinen Weg in die Subkultur gefunden zu haben. Und wenn man als Beispiel Autoren wie Rocko Schamoni (Dorfpunks) oder Klaus N.Frick (Vielen Dank, Peter Pank) und noch ein paar anderer, noch Szenenaheren Autoren glaubt, war die Jugend der meisten männlichen Punx geprägt von der Ablehnungshaltung der eigenen Eltern, der Ablehnung der meisten Frauen und der Ablehnung der harten Männer, die man nicht als Rollenvorbilder haben wollte.
Eine emotionale Berg- und Talfahrt. Zu weich für das harte-Männer-Ding, gleichzeitig aufgrund der häufigen emotionalen Zurückweisung auch nicht so richtig in der Lage, die eigenen Gefühle zu veräußern und damit selbst wieder hart genug für eine Subkultur, in der es gern darum geht, wer am meisten trinken kann, am lautesten Blödsinn reden und am brutalsten im Pogomob aufräumen kann.
Gepaart wird das in vielen Jugendgeschichten mit dem Unverständnis vieler Mädchen, die meist doch recht negativ dargestellt werden. Weil sie immer nur auf die harten Jungs standen und nicht auf die armen, verwirrten Punk-Boys. Oder weil ihnen das Leben an der Seite eines dauerbesoffenen, perspektivlosen Nachwuchspunk doch zu hart war….alles sehr widersprüchlich. Auf jeden Fall tragen in den meisten Erinnerungen die Mädls die Schuld daran, dass man als männlicher Punk nie eine Freundin hatte, sich darum die ganze Nacht im Proberaum besaufen musste und bis heute keinen richtig guten Zugang zu Frauen entwickeln konnte. Und schon gar nicht zu den eigenen Gefühlen.
In der gesamten deutschen Punk-Literatur gab es (in Prinzip bis zum Erscheinen des „Punk as Fuck Sammelband) sehr wenige Geschichten über junge weibliche Punx und wie sie ihre Spätpubertät verbracht haben. Dabei gab es dort oft die gleichen häuslichen Probleme, mit den gleichen beschissenen Erwartungshaltungen der Gesellschaft, mit genau so schlechten elterlichen Vorbildern und der Frage: „Was erwarte ich denn nun als Punkette von meinem Beziehungspartner“?
Als wäre es so einfach, als junge Frau den eigenen Eltern zu verklickert, dass man nicht mit dem freundlichen Nachbarsjungen, der ein Auto hat, zusammen sein möchte, sondern mit dem Iroträger mit dem klapprigen Damenrad. Als hätten junge Frauen nicht die absolut gleichen Identitätsprobleme, weit über die eigene Adoleszenz hinaus.
Und über Punks, die sich keinem der binären Geschlechterbilder zugehörig fühlen, will ich hier gar nicht anfangen.
Irgendwie habe ich das Gefühl, also würde es männliche Punx auch gar nicht so sehr interessieren, welche Probleme die Girls zum gleichen Zeitpunkt der Entwicklung so hatten…denn man hat sich da über die Jahre irgendwie ein Bild zurecht gelegt, in dem man selbst in Prinzip keine „Schuld trägt“ und den vermeintlich überzogenen Erwartungshaltungen der Frauen eh nicht nachkommen könnte. Und zum Trost für das alles lässt man sich die eigene Härte oder das eigene Versagertum dann nach dem 12. Bier so richtig raushängen. Oder schreibt eben Songs, ach was sag ich, ganze Alben, Bücher und Fanzines darüber.
Die Erkenntnis von Schuld, die Erkenntnis der eigenen (emotionalen) Widersprüche und die Scham darüber, dass man selbst zum Teil eines patriarchalen System geworden ist und keine Ahnung hat, wie man da wieder raus kommt, darf nicht in die selbstmitleidige Opferrolle führen.
Man muss die eigenen Ambivalenzen auch mal aushalten können. Fremdabwertung, vor allem Frauen gegenüber, hält nur den eigenen Entwicklungsprozess auf und macht einen auf die Dauer verschlossen und verständnislos. Egal in welchem Alter.
Ich habe wirklich lange nachgedacht, viel gesprochen und viel gelesen, aber mehr als das Thema „ich war nicht so hart, wie mein Umfeld das sehen wollte“ krieg ich in Auseinandersetzungen mit dem Thema bei Cis-Männern wirklich nicht mit.
Und gleichzeitig wird im Punk dann immer genau diese Härte zelebriert!
Wenn du es als Einzelperson wagst, zu sagen, dass du dir im Pogo-Mob etwas mehr Rücksichtnahme und weniger Ellbogen auf Nasenhöhe wünscht, bist du für Punk nicht hart genug. Dann musst du dich halt an den Rand stellen.
Wenn du es als Band (Mühlheim Asozial vor ein paar Jahren und Team Scheiße vor ein paar Wochen) wagst, dein Publikum öffentlich dafür zu kritisieren, dass es vielleicht nicht ganz so asozial besoffen ein bisschen aufeinander aufpassen könnte, entwickelt sich daraus nicht etwa eine fruchtbare Diskussion. Sondern eine Welle von Spott und Beschimpfungen, dass die Bands dann wohl eher als Pop-Band weiter machen sollen, aber im coolen wilden Punk ja garantiert nichts zu suchen hätte.
Wie oft werden Diskussionen innerhalb kurzer Zeit (vor allem in Verbindung mit Alkohol) zum „Survival of the loudest“. Wie rau und kühl ist der Umgang miteinander, wie selten werden auch mal persönliche Gespräche geführt, Gefühle gezeigt oder verbalisiert und wie oft ist die Erwartungshaltung an Frauen, da entweder mitzumachen, oder nach Hause zu gehen? Bzw daneben zu sitzen, die Klappe zu halten oder sich als Anhängsel von jemandem zu fühlen?
Und nochmal kurz zurück zu den Privilegien.
Es vergeht kaum eine Internet-Diskussion über Verhaltensformen in der Punkszene, ohne dass sofort ein Kommentar aufploppt, in dem jemand die immer gleiche Frage stellt:
„Braucht Punk denn Regeln?“ oder „Punk und Regeln, schließt sich das nicht aus?“
Nun ja. Sowas kann nur jemand fragen, der bereits alle Privilegien hat.
Denkt mal über diesen Satz nach.
Nur die, die schon alles dürfen, die alles machen können, haben ein berechtigtes Interesse daran, dass alles bleibt, wie es ist.
Nur wer sich nicht gehört, nicht repräsentiert, nicht erwünscht, sich ausgeschlossen oder nicht genug gewürdigt fühlt, wird überhaupt auf die Idee kommen, nach Verhaltensregeln zu fragen.
Für alle Anderen läuft die Bude ja.
Was kann man also machen, so als Cis-Dude, wenn einem doch selbst schon öfter mal aufgefallen ist, dass die Dinge auch für Männer nicht immer so ganz glatt laufen?
Antwort: Zuhören.
Das ist diese Situation, in der man eine Frage stellt …und dann erst mal längere Zeit die Schnauze hält. Und dann nach Hause geht und über das, was man da eben zu hören bekommen hat, nachdenkt. Man kann den eigenen Kumpels zuhören, aber auch mal nicht-männlichen Freundinnen. Mal hören, wie die das so machen. Feministischen Bloggerinnen folgen. Oder Bücher lesen.
Man erreicht ein Weiterkommen nicht, indem man auf andere Personen einquatscht, ihnen das Gefühl gibt, sich für die Forderungen und Wünsche rechtfertigen zu müssen, in denen man sie verbal versucht, in die Enge zu treiben und am Besten noch mit eigenen Beobachtungen kommt wie „Doooooch, es gab schon immer viele Frauen in Punkbands und Männer haben’s ja auch nicht immer leicht, wir sind ja schon alle Opfer des Patriarchats“.
Das sind wir.
Darauf will ich ja hinaus.
Aber Cis-Dudes müssten sich halt mal überlegen und sich (am besten öffentlich) damit auseinandersetzen, was man denn jetzt eigentlich will.
Über die eigenen Nachteile des Patriarchats jammern?
Oder gemeinsam überlegen, wie man dagegen ankämpft?
Dann sollte man sich aber vorher klar darüber werden, dass das auch bedeutet, Privilegien einzubüßen!
Man ist nie zu alt, nie zu erwachsen oder zu erfahren, um sich zu fragen, was für ein Mann, bzw was für ein Mensch man sein möchte. Sich selbst und Anderen gegenüber.
FLINTA tun das ständig, weil sie es müssen.
Weil ihnen gar nichts anderes übrig bleibt.
Aber auch, weil sie längst gemerkt haben, dass das FUNKTIONIERT.
Dass es einfach wahnsinnig gut tut, die eigenen Gefühle zu verstehen. Zu hören und zu lesen, dass man mit vielen Dingen nicht allein ist. Dass man nicht die Einzige ist, die eine Erfahrung machen musste. Und wie man vom Verhalten anderer lernen kann, beim nächsten mal nen anderen Umgang mit Situationen zu finden.
Dass man gemeinsam gestellte Forderungen, zum Beispiel an die Punkszene, viel lauter und nachhaltiger Formulieren kann.
Oder sich im entscheidenden Moment auch mal zurück zu halten. Zuzugeben, dass man sich mit einem Thema noch nicht beschäftigt hat. Einfach mal die Klappe halten und andere reden lassen. Das eigenen Unwissen auszuhalten und der Versuchung zu widerstehen, genau das dann wieder zum Thema zu machen.
Also ich kann nur dazu raten, sich zu vernetzen, sich gegenseitig an Erkenntnissen teilhaben zu lassen und sich gegenseitig Verhaltens- und Umgangsformen zu empfehlen.
Denn das Ziel sollte immer sein, die Szene zu einem besseren Ort für ALLE zu machen.