Punkrock True Crime: Wie ich auf nicht ganz legalem Wege an meine erste NoFX-CD kam

NoFX begleiten mich bereits drei Viertel meines Lebens. In einer Woche sehe ich sie wohl zum allerletzten Mal live. Dass die Band sich nach 40 Jahren auflöst, ist für mich kein Grund zur Melancholie. Ich habe sie schon bei diversen sehr schlechten, sehr guten und sehr durchschnittlichen Auftritten sehen können und Fat Mike zwei Mal interviewen dürfen. In meiner Küche hängt ein absurd großes (und standesgemäß natürlich gerahmtes) NoFX-Poster, das Ronja mir mal geschenkt hat (siehe Bild) und ein Tattoo zu Ehren der Band wird auch noch kommen. Aber ehrlicherweise haben sie sich überlebt, die letzten Veröffentlichungen waren derart belanglos und uninspiriert, dass es wirklich ein guter Zeitpunkt ist, um das Kapitel zu beenden und Mike Zeit für die Musealisierung von Punk zu lassen. Aber mich verbindet viel mit dieser Band, die ich seit frühesten Teenager-Jahren höre und das ist Anlass genug, biographisch geprägt auf den Beginn einer langen und anhaltenden Verbundenheit mit der Band zurück zu blicken. Alles fing an mit dem Album „Heavy Petting Zoo.“

Mein Erstkontakt mit der Band war irgendwann Mitte der 90er nicht über die Musik, sondern über das omnipräsente Mons-Tour-Shirt in der Trendfarbe Giftgrün. Zweifelhaft, ob die coolen Schüler in der Klasse über mir auf jener Tour waren oder ob überhaupt jemals jemand, der oder die das Shirt trug, auf dieser Tour waren. Wenn dem so war, hätten NoFX bestimmt in der benachbarten Arena auf Schalke gespielt, so präsent wie dieses T-Shirt damals war. In jedem Fall war es genauso hässlich wie verbreitet. Darüber machte ich mir damals aber weniger Gedanken. Es war für mich die Zeit, in der einfach alles, was von mir als „Punk“ identifiziert wurde, pauschal total geil war und affirmativ aufgenommen wurde In jedem Fall förderten meine geringen Recherche-Möglichkeiten zutage, dass es sich bei NoFX um eine Punkband handelte, also um etwas sehr Gutes. Rückblickend kann ich mich wohl glücklich schätzen, dass niemand aus der Klasse 7 des Heisenberg Gymnasiums ein Dimple Minds- oder Hannen Alks-Shirt trug.

Musik dieser mysteriösen Kapelle kannte ich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. Außerdem hatte ich ein Problem, und das hieß „Hausverbot“, wozu es wie folgt kam: Ich und ein paar Freund*innen hatten es uns angewöhnt, uns die Nachmittage mit regelrechen Raubzügen im Gladbecker Karstadt zu vertreiben. Zunächst aus Ermangelung an Geld, danach aber auch immer mehr zum Spaß, was zu lang zu gut funktionierte, denn dies lies uns immer unvorsichtiger werden. So wurden wir nach und nach von ambitionierten Kaufhausdetektiven triumphierend erwischt. Allerdings waren wir juristisch gebildet, der Begriff Strafmündigkeit war uns durchaus geläufig und wir alle waren unter 14. Daher war es ein bisschen egal und außerdem hatte ich schon einen PC und spielte Nachmittags lieber Computerspiele statt zur Pleite einer Warenhauskette beizutragen.

Nicht egal war jedoch, dass Karstadt eine der wenigen Möglichkeiten war, in Gladbeck Mitte der 90er an sog. „CDs“ zu kommen. CD ist das Kürzel für Compact Disk und das waren damals kleine silberne Plastikscheiben, auf denen Musik abgespeichert war, die man mit speziellen Abspielgeräten, den sog. CD-Playern zum Klingen bringen konnte. Ich glaube, die CD war der Vorgänger der Schallplatte oder so. Auf jeden Fall konnte man fast nur so und fast nur dort in der deprimierenden Geiselnehmerstadt an Musik kommen. Zumindest galt das für die schwer begehrte Punkmusik. Auch wenn das durchaus provozierte Erwischt-werden bei Karstadt mich eher mit Stolz und dem Gefühl des Delinquententums erfüllte, stellte mich das einjährige Hausverbot, zumal inzwischen über die magische Schwelle der 14 geschritten, vor Probleme, als ich eine NoFX-CD haben wollte. Denn als, wie gesagt, juristisch belesener Teenie war mir klar, dass ein Verstoß gegen ein Hausverbot jetzt sicher Jugendgefängnis bedeutete. Aber ich hatte noch Kontakte ins kriminelle Milieu und bezahlte eine Mitschülerin mit 10 D-Mark, damit sie mir das wie von mir recherchierte aktuelle Album „Heavy Petting Zoo“ von NoFX klaut. Aus irgendeinem Grund dachte ich damals, dass das aktuellste Album automatisch immer das beste Album der jeweiligen Band ist, daher fiel meine Wahl auf jenes. Und außerdem findet man es mit 14 sowieso super, wenn da ein Typ drauf ist, der ein Schaf sexuell belästigt. Hihi. Ein Schaf!

Dass „Heavy Petting Zoo“ ein eher ungewöhnliches NoFX-Album war und schon teilweise mehr Grunge als Skatepunk war, wusste ich mangels Vergleiche natürlich nicht. Aber ab dem krachigen Opener „Hobophobic“ war ich angetan. Den Wortwitz sollte ich, wie so vieles bei der Band, erst Jahre später kapieren. Eigentlich verstand ich die meisten ironischen und anspielungsreichen Texte nicht. Dass es bei „Hot Dog in a Hallway“ um eine korpulente Frau ging, verstand ich auch noch, aber ich wusste nicht, ob er es gut oder schlecht findet, dass sie korpulent ist. Denn Body Positivity war damals noch weit weg und das Lied war nicht so eindeutig wie die „Fette Elke“. Dass „The Black and White“ die durchaus sensibel beobachtete Geschichte einer unglücklichen Ehe zwischen einer Frau und einem ungeouteten schwulen Mann ist, ist mir tatsächlich erst in den Recherchen zu meinem Buch Homopunk History 20 Jahre später klar geworden. Ebenso wenig ahnte ich, dass „Liza“ lesbisch ist. Aber „What’s the Matter with the Kids today?“ verstand ich und fand ich super, weil ich selber als berüchtigter Karstadt-Dieb ja eben nicht das brave Kind war, dass in dem Text so verächtlich beschrieben wurde. Ich war so, wie der Sänger die Jugend wollte! Zu Ihren Diensten, Fat Mike! Gut, weder trank ich Alkohol, noch konnte ich mich prügeln und bis zum ersten Sex sollte es ab da auch noch drei Jahre dauern. Aber hey, Punk ist ja im und nicht aufm Kopf… ihr versteht! Im Booklet gabs nackte Männer und Frauen, was gut war, da ich damals noch nicht nur subkulturell in einer Findungsphase war. Insgesamt geht es auf „Heavy Petting Zoo“ viel um Sex und heute, wo Fat Mike offener über seine eigene, damals noch versteckte nicht normative Sexualität spricht und wie lange er diese unterdrücken musste, wird einem einiges klar, auch in andere Texten auf anderen Alben

In jedem Fall hat „Heavy Petting Zoo“ eine ganz neue Tür für mich geöffnet. Ich kaufte mir erstmal in Essen ein Mons-Tour-Shirt in XL für meinen klapperigen aber schon hochgewachsenen Kinderkörper und nach und nach immer mal wieder eine NoFX-CD, da ich inzwischen dank Schülerjob finanziell bessergestellt war. Und seitdem ich weiß, wie sehr René Benko den Karstadt-Konzern letztendlich erfolglos ausgenommen hat, habe ich auch ein etwas weniger schlechtes Gewissen ob meiner kriminellen Machenschaften damals.

So ist dieses, für die Band eher irrelevante Album von NoFX für mich höchst relevant gewesen. Ich bezweifle, dass sie davon noch Lieder live spielen, aber ich lasse mich nächste Woche gern überraschen.

Philipp