Joseph Boys : Jeder ist ein Künstler
Häktor im Interview mit den Joseph Boys
Und ich sage euch, es lohnt sich immer, sich auch die Vorbands anzuschauen. So erging es mir mit den Joseph Boys, die ich erstmals, fast auf den Tag genau vor 4 Jahren im Vorprogramm von Fehlfarben gesehen und zugegebenermaßen nicht verstanden habe. Dann kam Corona, und auch in Düsseldorf kam konzerttechnisch alles zum Erliegen. Aber zum Glück hat die Band die ganze Scheiße überlebt und so gab es letzten Oktober ein Wiedersehen im Vorprogramm von Cryssis. Von diesem Auftritt war ich so geflasht, dass ich gar nicht anders konnte als nach einem Interview zu Fragen. Und nur wenige Monate später traf man sich in einem chilligen Proberaum. Rede und Antwort standen Andi 1 (Gesang), Andi 2 (Gitarre) und Franky (Bass). Der Einfachheit halber im Folgenden mit JB betitelt.
PB: Ihr wart ja jetzt schon im Ox, aber nicht im Plastic Bomb. Ich bräuchte also ein bisschen Info über die Band. Wir sind ja alle hier was älter, da gibt es bestimmt etwas zu erzählen.
JB: Meinst du jetzt von der Band oder meinst Du unsere musikalische Sozialisation allgemein?
PB: Sowohl als auch. Wie habt ihr euch als Joseph Boys gefunden und was habt ihr vorher gemacht?
JB: Total viel. Der Franky und ich, wir haben mal Bratseth gemacht, ba waren wir auch schon bei unserem jetzigen Label Flight 13 und haben mit denen ein paar Platten rausgebracht. Andi, erzähl du jetzt mal. Ich hatte nach Disco Inferno/Karate Club mit unserem anderen Gitarristen, der heute nicht da ist. Der Franky hat bei den Sonic Dolls gespielt. Ich war kurz bei Oiro noch ganz am Anfang und du hattest Sub Simplex, das war so eine Herner Band, oder Bochum. Und dann haben wir zusammen Bombodrom gemacht, das war schon genau mit den 3 Jungs, die hier sitzen. Das gab doch nur 2 Jahre, dann ist der Jan, der Sänger und Gitarrist nach Finnland ausgewandert. Der hat da übriges mit Misphonia das Album di:unruh gemacht, welches bei Plastic Bomb Records herausgekommen ist. Killing Joke-mäßiger Düsterpunk. Also, Bombodrom war schneller wieder kaputt als antizipiert. Wir hatten aber Lust, wieder etwas Neues zu machen. Damals kursierte auch schon der Bandname Joseph Boys, aber der Jan fand den scheiße. Aber als Bombodrom vorbei war, haben wir uns gedacht, dann können wir halt mit den Joseph Boys starten. Die Band krebse dann ein bisschen so vor sich hin und deswegen sagen wir uns gibt s jetzt mit dem Einstand von Michael am Schlagzeug seit 2015, da ist auch die erste EP rausgekommen.
PB: Ist der Bandname jetzt nur ein Wortwitz oder habt ihr irgendeinen Bezug zu Beuys?
JB: Das ist natürlich für eine Düsseldorfer Band schon ein ganz guter Name mit dem man kokettieren kann. Wir haben ja auch so ein bisschen Kunstbezug gehabt in unserer Vita, so wie wir artificial sozialisiert sind. Wir haben auch Filmnächte gemacht und so und sind anderweitig kulturell unterwegs gewesen, sind viel hier in der Düsseldorfer Kulturszene unterwegs gewesen, nicht nur mit Musik. Darum passt der Name natürlich ganz gut, weil man ja auch eine Art Familie ist so als Gruppe. Und Boys passt auch, wir sind ja alles Herren. Und natürlich ist der Wortwitz auch ganz gut.
PB: Ihr schreibt ja auch auf eurer Homepage, dass ihr aus Margarine geformt wurdet.
JB: Ja, es gibt da auch ein paar Kniefälle vor der Art, wie Beuys Kunst gesehen hat. Da gibts ja auch bestimmt ein paar Gemeinsamkeiten und auch die Idee von Kunst, für die Beuys gebrannt hat finden wir alle ganz gut.
PB: Jetzt seid ihr ja vom Sound her, ich will jetzt keine Schubladen aufmachen, vom Gesang her so ein bisschen Retro und vom Sound her eher bombastisch. Wie würdet ihr euch da selber einordnen? Gibt es Vorbilder, die bei euch eine Rolle spielen?
JB: Ich kann es ganz schwer einschätzen und ehrlich gesagt, ich kann den Leuten immer nur sagen, hör dir das an, dass ist Gitarrenmusik, halt Punk. Grobe Musik mit deutschen Texten, aber halt nicht das klassische Ding. Aber in was für eine Schublade man uns steckt….ich persönlich finde es eigentlich ganz gut wenn man die unterschiedlichsten Sachen hört. Aber eigentlich gibt es für uns keine wirkliche Schublade. Ich kann gar nix dazu sagen ehrlich gesagt. Vorbilder gibt es für mich eigentlich gar nicht. Null! Klar, wenn man mal eine neue Platte hat, und die gefällt einem richtig gut, dann kommt man vielleicht auch auf ein paar Ideen, mal etwas anderes auszuprobieren. Da kommt dann tatsächlich mal irgendeinen Einfluss von einer gehörten Platte. Aber wo wir immer selber ganz kritisch sind, wenn man es denn schafft, ist, keine Angst vor poppigen Ansätzen zu haben, aber das ganze möglichst sprerrig aufzuziehen. Was wir alle nicht mögen ist Pathos, und wenn es zu glatt wird. Das sind so die Dinge über die wir so sprechen. Und vielleicht bin ich auch der Popper in dieser Runde und bringe ab und zu eienen Riff mit, und dann kommt dann relativ schnell von den anderen „Äh, nee“!, das können wir so nicht machen.
PB: Ihr habt auf eurer Homepage ein Zitat von Thees Uhlmann veröffentlicht, wo er sagt, dass ihr in einen Song oder unserem Video mehr Mühe und Zeit reinsteckt als manche Bands in eine ganze Platte. Wie steht ihr dazu?
JB: Das hat er gesagt. Es ist nicht nur, dass es uns geschmeichelt hat, das ist auch eine Freundschaft, die uns mit Thees verbindet. Also ist es ein Zitat von einem Freund.
PB: Aber hat er denn recht?
JB: Nein. Ich schreibe eine Platte in einer halben Stunde. Auch im Punk ist das nichts. Das ist so gar nicht beantwortbar. Vom ursprünglichen Punkgedanken her ist es schon so, dass wir wahrscheinlich nicht wie eine gewöhnliche Punkrockband Songs machen. Wir haben da schon Spaß dran uns so reinzufuchsen wenn wir eine Idee haben. Es kann aber auch mal schneller gehen. Das ist schon ein bisschen kokettiert, was er da sagt. Es gibt wahnsinnig viele Bands, die geben sich ultra viel mehr Mühe und brauchen viel länger für irgendwelche Videos oder so. Das Zitat hatte jetzt nicht den Sinn, dass ein Thees Uhlmann Zitat da steht. Es ist halt eine Freundschaft. Er ist ja auch in T-Shirt von uns aufgetreten. Wir haben ihm die neue Platte vorab geschickt und er hat uns zu jedem Song eine Rückmeldung gegeben. Da hat er dann zu seinem Lieblingssong, das war „Liebe, du Schwein!“, auch als erstes das Video zu sehen bekommen. Wir machen ja alle Videos selber. Und darauf bezogen denkt er sich vielleicht, wir haben uns viel Mühe gegeben. Aber weil der Andi und ich (Andi2) aus dem Bereich kommen, der Franky layoutet, wir machen alle Bandfotos selber, macht und das viel Spaß und geht uns ganz leicht von der Hand. Aber wenn das nach außen hin so eine Wirkung erzeugt, dass da viel Mühe drinsteckt, dann haben wir da Freude dran. Wir wollen ja kein Standard-Bandfoto machen oder kein Standard-Musikvideo oder kein Standard-Layout und auch keine Standardsongs. Aber um nochmal auf den Thees Uhlmann zurückzukommen: Der ist ja ein sehr guter Texter. Und wenn so ein Wortakrobat sowas sagt, dann ist das schon toll.
PB: Wer macht denn bei euch die Texte? Und was ist zuerst da? Text oder Musik?
JB: Der Andi (1) macht die Texte. Musik und Text entstehen parallel. Andi schreibt vor sich hin, sammelt und schreibt und ich und der andere Gitarrist, wir machen die Erstaufschläge für neue Songs. Und dann setzen wir uns hin und schustern es zusammen.
PB: Aber es ist eine Entscheidung der gesamten Band, ob ein Song wirklich auf Platte kommt oder verworfen wird?
JB: Ja. Leider ganz basisdemokratisch und furchtbar anstrengend.
PB: Noch mal zum Anspruch zurück, da seid ihr in der Selbstdarstellung auch etwas weg vom Punk, mit der Goldfolie, wehenden Fahnen auf dem Schauspielhaus und so. Ist dann doch eher die Intention, Kunst zu machen?
JB: Ist das nicht 2022 überholt zu fragen, was Punk ist und was nicht? Kann nicht auch eine Goldfolie Punk sein?
PB: Die Frage war 1977 schon schwierig.
JB: Vielleicht. Aber genau war ja das wofür Punk immer gestanden hat. Und das darf ja auch Goldfolie sein.
PB: Das hat in Düsseldorf ja auch eine gewisse Tradition. Man denke an Bands wie Pyrolator, die mit ähnlichen Effekten gearbeitet haben.
JB: Ja, das stimmt schon. Wir hatten auch in der Findungsphase zu unserem aktuellen Album nicht nur Beuys, das war auch die Fluxus-Ideen drin. Vielleicht ist auch der Beuys die Idee gewesen, sich ein bisschen mehr damit zu beschäftigen und immer mehr kommen dann natürlich auch so Ideen aus dieser Kunstwelt. Und bei Beuys war ja auch die Punkidee nicht so weit weg.
PB: Und es war auch am Anfang in Düsseldorf so, dass viele Kunststudenten in den Ratinger Hof gegangen sind.
JB: Genau. Und es gibt auch Aufnahmen, wo er sogar mit unterwegs war. Auch mit Klee und der ganzen Mischpoke. An diesem Ganzen kann man sich auch wirklich gut bedienen. Und dann ist das bei uns immer mehr geworden. Ursprünglich gab es halt nur den Namen und Jungs, die Musik machen wollten. Und dann kam eines zum anderen, wir haben uns da bedient und wurden dann in so eine Ecke geschoben zum Teil. Die Frage, ob wir einen Kunstbezug haben, taucht halt immer wieder auf. Und der ist dann auch gerade dadurch immer mehr geworden. Weil es da so mannigfaltige Auswahlmöglichkeinen gibt, coole Sachen zu machen. Es gibt ja die unterschiedlichsten Arten von Kunst, und auch Musik machen ist ja eine Art von Kunst. Außerdem war Beuys auch ultrapolitisch, und auch seine Aussage, jeder Mensch ist ein Künstler, damit schließt sich schon der Kreis zum Punk. Wir wurden ja auch aufgrund unseres Namens eingeladen, in der Kunstakademie zu spielen. Die Leute dachen halt, das würde passen, weil das eine Ausstellung war von ehemaligen Beuysschülern. Und es war eigentlich auch ganz witzig, uns da auf einmal so wiederzusehen. Dann haben wir einmal ein Bandfoto in der Kunstakademie gemacht und wir durften da auch Konzertplakate aufhängen. Gerade in unseren Anfangstagen war das natürlich auch der Anker für uns, sich damit zu beschäftigen. Und dann sind immer mehr Sachen dazugekommen. Normale Folie vor der Bühne, beim ersten Release, im Fortunaeck, haben wir eine Staffelei mit der Platte hingestellt. Man kann sich da echt austoben. Am Anfang fanden wir echt nur den Namen witzig, aber dann wurden wir vom Publikum und auch von der Lokalpresse irgendwie als Art-Punks dargestellt, und da haben wir gesagt, das kann man ja auch ein bisschen ausschlachten.
PB: Ihr hat bei Konzerten so eine Art Projektion laufen. Man erkennt aber nicht wirklich, was da gezeigt was läuft eigentlich?
JB: Unterschiedliche Sachen. Verschiedene Collagen, mit politischen und ironischen Aussagen. Wir wollten mal ein Musikvideo für den Song Laramy oder Heidi machen. Und diese Schnipsel lagen dann im Proberaum aus und ich bin mit einer Kamera drübergefahren, und dann kamen immer mehr neue Sachen dazu. Wir machen sowas immer selber, Andi (1) ist Kameramann und ich (Andi 2) mach Regie und Schnitt. So können wir das alles inhouse machen. Da wurde was gedreht, ich habe es zusammengeschnipselt, und dann haben wir es mit einem Beamer auf uns draufgeworfen und fanden es alle super. Also, warum sich nicht mal einen Beamer leisten und das ganze dann auch live abspielen. Wobei das nicht ganz neu ist, Neurosis hat das damals auch gemacht. Jedenfalls sieht deshalb ein Konzertabend bei uns auch etwas anders aus als der Standard. Aber noch mal zu der Frage, was da eigentlich gezeigt wird: Das sind Ausschnitte von Videos von uns, dazu kommt dann, dass wir festgestellt haben, dass gerade Linien oder eine weiß-rote Fläche super aussieht, mit großen Lettern, oder Zeitungsüberschriften. Daran haben wir uns dann entlanggehangelt. Aber die Bilder, die wir da sammeln haben schon einen gewissen Bezug zum Text.
PB: Es führte dazu, dass, als ich als euch das 1. Mal gesehen habe beim Fehlfarben-Konzert, völlig überfordert war. Was ist das für Musik, worum geht es hier und warum tragen die Typen alle weiße Klamotten, wo der Punk von Welt doch schwarz trägt.
JB: Tatsächlich wegen der Projektion. Am Anfang waren wir in der Tat komplett in schwarz, haben dann aber festgestellt, dass logischerweise die Projektion da nicht gut zu sehen ist. Also änderten wir auf weiß. Da hatten wir aber schon lange Finger am Anfang. Es ist jetzt nicht so, dass alle gesagt haben, geil, endlich mal weiß. Aber es ist halt wie eine Leinwand.
PB: Gut kommen zu einem etwas anderen Thema. Bei dem ein oder anderen Song hat man das Gefühl, ihr stellenweise ein etwas unentspanntes Verhältniss zu Düsseldorf bzw. zu einer gewissen Klientel, die Düsseldorf bewohnt.
JB: Klar, Düsseldorf hat ja auch 2 Gesichter. Einmal einen gar nicht so kleinen Bereich der Subkultur. Wenn man sich darin bewegt, ist dieser Bereich schon sehr groß. Es gibt hier zum Beispiel ohne Ende Bands. Und wenn man aus gewissen Orten kommt, dann weiß man das schon sehr zu schätzen. Wir machen auch unsere Releasekonzerte immer auf der Kiefernstraße, dass ist die eine Seite von Düsseldorf. Und dann gibt es natürlich noch diesen klassischen, schrecklichen Gesellschaftsteil von Düsseldorf. Man darf auch nicht vergessen, dass wir hier 10 Jahre lang Kultur gemacht haben mit einem kleinen Kulturverein und damit auch ein Stachel im Fleisch der Stadt und dem Ordnungsamt waren und mit denen auch so unsere Kämpfe hatten. Und wie Andi (2) ja schon meinte, die Subkultur gibt es hier, aber für die Größe der Stadt ist es langsam schwierig. Wir haben nach und nach alle Kultur- und Freiräume verloren. Wenn man mal auf die Kölner Kulturszene sieht, da gibt es viel mehr Clubs, sei es jetzt kommerziell oder unkommerziell. Wir haben eigentlich nur bei den nicht kommerziellen das AK und das ZAKK. Da finde ich aber scheiße, dass man nach Konzerten direkt rausgekehrt wird. Neu sind jetzt die Kunstbanausen, aber das ist auch kommerziell, oder eben das Tube, das ist noch Underground. Richtige Kulturräume werden halt in Düsseldorf nicht gefördert. Aber ich würde sagen, ein prinzipiell unentspanntes Verhältnis zu Düsseldorf haben wir nicht. Ich (Andi 2) bin ja der einzige Zugereiste hier in der Truppe. Man kann sich durchaus an gewissen Themen gut abarbeiten hier, aber wenn wir eine Kölner Band wären, wurden wir uns halt an anderen Themen abarbeiten. Es ist so eine Art Hassliebe, ich lebe hier eigentlich sehr gerne, aber dieses klassische Bild, Kö und Pelzkragen, das findet ja tatsächlich statt. Sich an einem Samstag im Frühjahr mal das Publikum auf der Kö angucken macht auch unter Zoobesuchsaspekten richtig Spaß. Wir aber gucken nur noch nach oben und schauen uns die Papageien und Dohlen in den Bäumen der Kö an. Ein Freund von uns arbeitet für das Stadtmarketing, die machen jetzt eine Führung in die Undergroundszene, dass nennt sich Sound of Düsseldorf. Und klar, da gibt es interessente Orte, in Zusammenhang mit Kraftwerk oder Neu!, die man sich angucken kann. Und die Stadt ist klein genug, dass alle immer noch gut vernetzt sind. Die Proberaumszene ist klein, alle kennen sich irgendwie.
PB: Eure Veröffentlichungen gibt es auf Vinyl oder digital. Keine CDs. Ist das eine bewusste Entscheidung?
JB: Ja! Wir sind alles Plattenliebhaber und der Meinung, es muss etwas Großes und Schönes sein, analog. Die CD ist tot, wer keine Vinylplatte hört, der hört sich den Kram eben digital an. Wir haben es nie für nötig gehalten, CDs zu produzieren, außer Promo-CDs. Die findet man dann für viel eld im Internet wieder.
PB: Man findet euch ja auch auf Spotify. Gezwungenermaßen?
JB: Also, man muss das mitmachen, aber bei uns funktioniert das eigentlich auch nicht so richtig gut. Wir haben manchmal das Gefühl, wir haben ein Publikum, was jetzt mit Spotify nicht so richtig gut kann. Ich (Franky) finde aber, das ist das Medium der Zeit. Ich bin Vinylkäufer und Spotifynutzer, das ist natürlich schon sehr konvenient. Aber Musikhören ist ja mittlerweile irgendwie kaputt. Keiner hört mehr ein ganzes Album. Man veröffentlicht erst eine Single, dann eine zweite und dritte und am ende kennt man das Album schon, bevor es rauskommt. Ich habe mit Jürgen von Rookie-Records darüber gesprochen. Der sagt auch, wenn du das Ziel, maximal viele Leute zu erreichen verfolgst, musst du eigentlich, ähnlich wie Hip-Hop-Künstler das machen, so eine Art Dauerfeuer produzieren. Im besten Fall machst du alle 2 Wochen eine Single, damit du gar nicht mehr von diesem Release-Radar wegkommst. Aber am Ende ist das nicht steuerbar. Du kannst das alles so machen und letztendlich doch keinen Erfolg haben. In diesem Scheißsystem verdienen nur die richtig großen Bands. Selbst wenn Du 100.000 Hörer hast, machst Du damit nicht viel Geld. Und für kleine Undergroundbands ist das natürlich ein totaler Witz. Grundsätzlich ist das schon ein Scheißprinzip. Und deshalb ist es für uns gezwungenermaßen. Diese wahllose Konsummöglichkeit führt das, womit wir uns so wahlsinnig Mühe geben, ad absurdum. Wir diskutieren monatelang über ein Cover und welche Songs in welcher Reihenfolge auf die Platte kommen und welche nicht. Das ist absolutes Dinosauerierverhalten dazu, wie das heutzutage bei vielen Leuten läuft. Es ist nicht so, dass wir voll Bock darauf haben, dass wir bei Streamingdiensten stattfinden. Aber wir haben halt noch weniger Bock, CDs zu machen, das ist Müll. Aber wir haben unser Verhalten inzwischen verändert. Wir wollen jetzt mehr Songs machen, die den Algorithmen von Spotify gefallen. Ist zwar scheiße, aber egal, Hauptsache Geld fließt. Aber ernsthaft, für uns als Band ist das relativ irrelevant. Wie Andi (1) schon sagte, Geld kriegste sowieso nicht, ich glaube 0,08 Cent pro Klick. Aber das spielt für uns als Band keine Rolle. Bei der ersten Platte hat jeder ein bisschen reingechippt, wir haben bis auf die Reflektor alles selbst produziert, und dann haben wir am Anfang 300 und dann 500 Platten gemacht, dann waren die alle verkauft, wir haben uns tierisch gefreut und dann war genug Geld da, die nächste Platte zu machen. Quasi ein perpetuum mobile. Was Spotify und sonstiges social Media betrifft ist die Hoffnung, und das scheint sich zu bewahrheiten, dass einfach die Bekanntheit ein kleines bisschen wächst, soweit, dass man wenn man dann nach München fährt, wo man vorher noch nie war und dann stehen da doch überraschenderweise irgendwie 70-80 Mann und kommen zum Konzert. Diese Jahre, dass du irgendwohin fährst, so 7 Stunden und dann stehen da 15 Leute, wir machen trotzdem ein gutes Konzert, aber es ist halt frustrierend, die sind vielleicht vorbei. Und wenn Bands sagen, sie machen die Musik nur für sich, egal, ob da wer kommt, dann ist das gelogen.
PB: Das ist ein feines Stichwort. Auch so ein Hauptthemen in euren Songs ist Konsum. Bei aller (berechtigten) Kritik müsst ja bestimmt auch ihr euch eingestehen, dass man sich einem gewissen Konsum gar nicht entziehen kann, oder?
JB: Nein, natürlich nicht. Aber in jedem Bereich kann man ja die Grenzen unterschiedlich weit oder eng ziehen. Aber wir achten da schon so ziemlich drauf. Ich würde und alle so einschätzen, dass wir alle kein Normleben führen, sondern bei den meisten Sachen tatsächlich viel hinterfragen und nicht mit der Masse gehen. Ich habe schon den Eindruck, dass wir keine normalen Konsumenten. Konsumieren tun wir natürlich auch, sonst müsste man ja aufs Land ziehen und irgendwie Selbstversorger sein. Was eigentlich keine schlechte Idee ist. Man muss natürlich auch sagen, Musik hat sich schon seit 2000 Jahren vielleicht mit den Themen Liebe, Gesellschaft, Politik und so beschäftigt. Und das sind auch die Themen unserer Platte: Liebe, Konsum und politische Themen.
PB: Ich wollte euch jetzt auch nicht unterstellen, dass es konsumkritische Texte gibt, weil ihr halt eine Punkband seid, sondern weil es auch schon so gedacht wird in der Band.
JB: Jaja, definitiv. Aber es ist wichtig zu sehen, dass es nicht als Predigt gedacht ist. In der Coronapandemie ist den Leuten ja vielleicht aufgefallen, dass es mehr um so Dinge wie menschliche Nähe geht, und dass man gesund ist. Das ist die Basis. Und der ganze Konsum, der hat ja auch unter coronal gelitten, der ist ja abgekackt. Letztendlich wurde man mal wieder so ein bisschen geerdet. Das es nicht selbstverständlich ist, dass man ein Dach über den Kopf hat und so, das merkt der Großteil der Bevölkerung erst durch solche Ereignisse. Aber da hätte man durchaus schon früher drauf kommen können, dass es eben um ganz andere Dinge geht. Man hat als Band eine Haltung und ist politisch. Es gibt keine unpolitischen Bands. Sobald eine Band ein Statement macht, dass sie unpolitisch ist, hat sie ein politisches Statement gemacht. Und wenn man eine Band eine Haltung hat, dann sendet man. Zum Beispiel über so Themen wie Konsum. Was wir dabei als Band nicht machen ist dieses Pathos. Wir beschäftigen uns nicht mir diesem pathosartigen Part des Punk. Und dann landet man eben bei solchen Sachen. Auch wir sind durch die Coronageschichte ausgebremst gewesen. Aber wir wollten nicht heulen. Aber wir haben uns natürlich damit auseinandergesetzt, weil es uns beeinflusst hat. Und dann landest du bei so Themen, denn sonst hast du ja nichts zu singen. Wenn man es genau betrachtet ist ja auch Konsum eines der Hauptthemen der heutigen Zeit. Und da ist ja gerade Düsseldorf ein schönes Beispiel für. Es kommen Touristen nur um zu shoppen und zu flanieren. Ich brauch noch dies, ich brauche noch das. In meiner Wahrnehmung nimmt das immer weiter zu, dieses Kaufen um des Kaufens Willens, nur um up to date zu bleiben und nicht, weil ich etwas brauche. Vielleicht sind wir da etwas speziell und vielleicht sind wir da auch etwas altmodisch, aber ich würde sagen, dass wir alle in der Band so Typen sind, wir gehen halt eine Hose kaufen, wenn wir eine scheiß Hose brauchen und das klingt jetzt auch nicht sexy oder modern. Früher war das etwas anders, wenn man eine Jeans brauchte, dann gab es von den Eltern für die fucking C&A- Jeans 50 Mark. Aber auch damals musste es schon die Levis sein. Gleiches Thema waren die Doc Martens. Ich kenne das natürlich auch. Aber heute geht es nicht darum, dass die Sneakers halt 150 statt 80 € kosten, sondern die kosten gleich 700 €. Und die Leute kaufen das. Und wenn der Andi (1) darüber einen Text schreibt, dann ist das in erster Linie beobachtend und mit einem Augenzwinkern. Und es ist ja auch ein Ur-Punkthema, dass der Konsum und der Kapitalismus da ist, um die Leute von den eigentlichen Themen abzulenken. Und es geht eben überall nur noch um Geld. Im Sport, in der Wirtschaft, überall steht die Kohle an erster Stelle. Und Fame. Es ist absurd, was Menschen für ein Selfie tun. Es haben sich Menschen für ein Bild in den Tod gestürzt.
PB: Kommen wir nochmal zu den Texten. Ihr habt gesagt, ihr wollt kein Pathos in die Texte legen und keine Parolen schreien. Ist es nicht manchmal schwer, das wirklich zu unterlassen, gerade in so Memonten, wo man einfach nur schreien möchte: Sterbt alle!?
JB: Naja, die Art von Pathos vielleicht schon eher. Es geht uns eher um diesen Steh auf, wenn du am Boden bist – Pathos. Wenn man konkrete Bands nennen möchte wären das die Hosen oder die Broilers oder auch kleinere Bands mit diesem Pathos-dicke-Gitarren-dicke-Eier-Punkrock. Ok, auch das gefällt einer ganzen Menge Leuten und ich will das auch gar nicht schlecht reden, denn die haben auch das Herz bestimmt an der richtigen Stelle, aber das ist etwas wo wir alle unangenehme Gänsehaut bekommen und sich im Nacken bei uns die Härchen aufstellen. Und da haben wir gute Antennen. Und in der Musik ist es halt schwer, wenn man manchmal feststellt, der Refrain kickt noch nicht so richtig, da fehlt noch das letzte ding. Ein whooo-hoo-hooh-hooo-Chor da drauf und eine im Chor gesungene Parole, die alle auf einem Konzert mit erhobener Faust mitgröhlen können, und das Ding wäre sofort supergeil. Aber wir können das halt nicht machen, weil wir es furchtbar finden. Wir wollen ja sperrig sein, aber es ist auch manchmal in der Entwicklung sperrig und kompliziert. Aber es geht uns leicht von der Hand, dass mit dem Pathos zu vermeiden. Wir bekommen das trotzdem hin, dass die Texte Power haben und gut rüberkommen.
PB: Wobei man sagen muss, dass, so ist mein Empfinden, „Liebe, Du Schwein“ da hart an der Grenze ist. Das wird der Song sein, den ihr auf Konzerten nicht mehr loswerdet, weil er immer eingefordert wird.
JB: Das ist tatsächlich so. Das ist ein wenig Spiel mit dem Feuer. Die Idee war, und deshalb mag ich den Song so, einen Song zu machen, aus 2 Riffs bestehend, so wie wir deutlich früher schon Songs gemacht haben. Irgendwas, was so durchschnurrt. Wo sich nur die Dynamikstufe ein wenig ändert. Der Text kam dann erst hinterher. Und weil das für unsere Verhältnisse recht poppig ist, warum dann nicht die ganzen Hundert Meter gehen und einen Text über Liebe machen? Ich finde, das ist extrem gut gelungen, weil es trotzdem kein kitschiger Text geworden ist. Und definitiv ist das für uns ein bisschen das Spiel mit dem Feuer. Ich neige dazu, wenn wir das spielen, in den breitbeinigen Schritt zu gehen, denn das ist auch eine Nummer, die die Ramones hätten machen können. Und es ist ja auch befreiend, mal einen Song zu machen, den man mit 1-2-3-4 anzählen kann als dieser postpunk-Scheiß immer.
PB: Kommt es vor, dass ihr so aus der Streetpunkecke angefeindet werdet, weil eure Texte so komplex sind und da Wörter drin vorkommen, die man googeln muss?
JB: Nein, aber wir sund da tatsächlich nicht zu 100% zu Hause. Aber angefeindet wird man nicht. Ok, es gibt Leute die sagen, ihr seid nicht meine Band, die finden nur den Bandnamen witzig, aber es gibt aus so Leute wie den Fö, der den katastrophal beschissen findet. Aber wir haben keinerlei Berührungsängste. Wir spielen ja auch in besetzten Häusern oder AZs, es ist also ziemlich durchmischt. In der Elbphilharmonie noch nicht, aber sonst spielen wir überall. Komischerweise, bei allen Dingen, die Alex Schwers so macht, Ruhrpottrodeo und so, da bekommen wir keinen Fuß in die Tür.
JB: Mit Stereolab? Wenn Du schon so fragst. Die habe ich an meinem Geburtstag in Düsseldorf gesehen, das war grandios. Und mit den Hotsnakes. Also, es ist immer gut, wenn das nicht so langweilig wird. Man kann sich ja nicht 3 Deutschpunkbands angucken. Wenn das ein wenig abwechslungsreich ist, finde ich das toll.
PB: Aber da läuft man natürlich Gefahr, dass sich bei 3 Bands nur ein Drittel des Publikums für euch interessiert?
JB: Naja, das restliche Publikum kann ja mal den Kopf aufmachen. Jedenfalls hoffen wir da immer drauf. Und das funktioniert eigentlich auch immer.
Häktor