Interview mit Sylvia Entrevista
Hallo Silvia, schön, dass du Zeit für ein Interview hast. Du bist sehr vielseitig unterwegs, erzähl doch mal was über deine musikalische Sozialisation.
Als Erstes möchte ich mich für das Interesse bedanken. Ich bin schon immer eine sehr unruhige Person gewesen und habe immer versucht alles was mich motiviert abzudecken, in meinem Fall die Musik.
Seitdem ich klein war hat mich Musik immer begleitet. Ich bin nie sehr gesellig gewesen und man kann sagen, dass ich mich hinter der Musik „versteckt“ habe. Ich hatte Glück, denn es hat mich auch in schlechten Momenten lebendig fühlen lassen. Ich habe immer Musik gemacht, ich habe mit Klavier angefangen, mit Gitarre weitergemacht und bin dann zum Schlagzeug gekommen, dem Instrument, mit dem ich mich am besten ausdrücke. Das Bedürfnis, Konzerte zu besuchen um neue Bands und Menschen die meine Unruhe teilen kennenzulernen, hat mich dazu geführt, selber Konzerte in Jugendzentren, Besetzten Häusern und bescheidenen Veranstaltungsorten zu organisieren. Mir hat es nie gefallen darauf zu warten, dass man mich zum Spielen einlädt, also begann ich mich selbst zu bewegen. Man könnte sagen, dass deshalb mein aktives politisches Leben angefangen hat.
Du hast ein eigenes Label, welche Bands sind da drauf und wie würdest du dein Label beschreiben?
Unser Label “Ojalä me muera Recoords” fing aus dem gleichen Grund an, nicht darauf zu warten, dass andere Personen deine Musik bewegen, sondern es selbst zu tun. Ich liebe es Emotionen oder Gefühlen eine physische Form zu geben und diese Umsetzung genieße ich sehr, denn diese Sachen können nicht warten. „Ojalä me muera“ fing 2006 unter Freunden an und ist bis heute aktiv. Ehrlich gesagt, ist es etwas vom Besten das ich je gemacht habe, da ich mit Menschen von überall und die meine Motivationen teilen, zusammenarbeiten kann.
Bezüglich der Bands des Labels, haben wir uns immer auf den DIY gestützt, dass es Musiker*innen mit politischen Motivationen sind und die nicht gewinnorientiert sind. Bei uns kommt diese Philosophie zuerst und der Musikstil ist an zweiter Stelle. Wir haben so viel herausgebracht, wie es für uns möglich war und haben immer versucht präsent zu sein. „Ojalä me muera“ ist immer ein Lable vor Ort gewesen, das dem Verkauf und persönlichem Austausch gewidmet ist, ohne gewinnorientiert zu sein, aus diesem Grund ist der Onlineverkauf sehr schwierig für uns… wir sind mehr die Art Label, die die Distro immer dorthin mitnehmen, wo wir hingehen.
Du organisierst außerdem das FEMME SOROLL FEST, bei dem (ausschließlich?) FLINTA*-Bands spielen. Seit wann machst du das? Wie kam es dazu und welche Ziele verfolgst du damit?
Das erste Femme Soroll Fest war 2008 und es fanden acht weitere jährliche Auflagen statt. Abgesehen davon, haben wir mit diesem Kollektiv auch einige andere Konzerte veranstaltet. Alles fing an wie immer, Freunde, Bier und Lust etwas zu machen. Unser Hauptanliegen war Frauen im Punk auf der Bühne zu visibilisieren, da der Großteil von uns Frauen immer die fehlende Präsenz, sowohl auf der Bühne als auch in der Organisation, feststellen musste. Es war eine traurige Realität für meine Freund*innen und mich, weshalb wir uns eines Tages zusammengetan und entschieden haben, ein Festival zu veranstalten in dem Frauen präsent sind, sich wohlfühlen können und nicht darauf warten müssen eingeladen zu werden. Mein ganzes Leben lang habe ich Menschen kennengelernt, denen es schwer gefallen ist weiterzumachen, die schwierige Lebensumstände, schwierige Familiensituationen oder toxische Freundschaften gehabt haben. All das beeinflusst dich auf eine negative Art und Weise, es lässt dich klein, diskriminiert und minderwertig fühlen. Wegen diesen Menschen, die auch Lust haben sich auszudrücken, zahlt sich die Mühe schon aus, um ihnen die Chance zu geben. Es waren fantastische Jahre und ich denke, dass jede Person die auf einem Femme Sorroll war, das gleiche sagen kann, man atmete eine saubere und gesunde Atmosphäre ein. Wir waren ein gutes Team, haben uns immer sehr gut organisiert und immer von ganzem Herzen zusammengearbeitet. Das Ziel war es, jenen Personen eine Stimme zu geben, die nicht die gleichen Möglichkeiten gehabt haben. Ich denke, dass in allen Städten und Dörfern das gleiche passiert ist, immer die gleichen Bands, die gleichen Menschen die entschieden haben, immer das gleiche. Es war unser Moment um einen Versuch zu starten, um das zu verändern. Ich denke es war sehr positiv für unsere Stadt, da daraufhin viele ähnliche Projekte entstanden sind. Deshalb bin ich persönlich sehr glücklich, dass wir das gemacht haben, jetzt lasse ich die nächsten Generationen weiter daran arbeiten.
Du bist ja auch noch in Bands aktiv, hattest du Role Models? Wer hat dich inspiriert? Und worum geht es in den Songs deiner Band(s)?
Ich hatte nie ein konkretes Role Model, ich hatte viele. Ich habe ein bisschen von hier und ein bisschen von dort genommen, bei jedem Konzert habe ich versucht etwas Gutes mitzunehmen, etwas das ich für mich selbst möchte. Meine Philosophie hat immer mit DIY, kritischen Gedanken, Gleichberechtigung und vor allem Anti-Faschismus zu tun. Ich bin fast 40 Jahre alt, habe mein ganzes Leben lang viele Bands gehabt und ich kann sagen, dass alle meine Bands immer sozialkritische Texte gehabt haben, die von Ungerechtigkeiten, Gefühlen, Ängsten, wie man selbst zu sein hat, vom Leben, vom Elend, etc., gehandelt haben.
Zur Zeit spiele ich bei Ansïa und wir haben gerade eine neue Platte herausgebracht. Ich bin sehr glücklich mit diesem Projekt, da unser Verständnis für einander ehrlich ist und alles sehr einfach macht, sowohl musikalisch als auch persönlich. Ich lade euch ein, uns anzuhören 😉
Wichtige Frage: Was denkst du, warum auf den Bühnen immer noch mehr cis Typen stehen als FLINTA*? Wie kann man das ändern?
Es ist immer schwierig Sachen zu verändern, aber es liegt oft in unserer Hand und wir sind uns dessen nicht bewusst. Man muss natürlich bei sich selbst anfangen, danach der engste Kreis und so weiter, soweit es geht oder sie uns lassen. In letzter Zeit wird Gewalt gegen Personen die als nicht „passend“ angesehen werden jedes Mal mehr normalisiert. Es ist nicht, dass ich generell keine Hoffnung habe, sondern, dass ich einfach nicht an die Menschheit glaube. Aus diesem Grund freue ich mich immer, wenn ich auf Menschen treffe die meine Werte teilen, das gibt mir Kraft weiterzumachen, zu spielen, zu veranstalten.
„Die Angst klopfte an die Tür,
das Vertrauen öffnete,
und es war niemanden da.“
Daniel Flix
Es hat immer Personen gegeben die diskriminiert worden sind. Menschen, die zu jenem Zeitpunkt und Ort von den Herrschenden als minderwertig angesehen wurden. Es bleibt einer nichts anderes übrig, als die Herrschenden zu bekämpfen. Ich will damit sagen, dass wir gemeinsam mehr Orte schaffen müssen, an denen sich Menschen wohlfühlen können, sie unterstützen und ermutigen, damit auch sie die Möglichkeit erhalten, sich ausdrücken zu können und ihr Leid und ihre Freude zu teilen.
Was bedeutet Feminismus für dich?
Feminismus sollte für mich sowie für alle Menschen das selbe bedeuten, nur interpretiert leider jede Person was sie will. Natürlich bin ich Feministin und versuche mich mit Mensch zu umgeben, die diese Überzeugung der Gleichberechtigung teilen. Ich weiß was ich denke und fühle und deshalb weiß ich, dass viele andere es auch fühlen. Feminismus ist für mich Leben, leben wie eine es möchte, ohne andere zu verletzten, ohne Angst das auf eine gedeutet wird, ohne verurteilt zu werden, ohne sich minderwertig zu fühlen, wegen dem Stolz und Wohlbefinden von anderen. Unabhängigkeit, Respekt, Gleichberechtigung, Geschwisterlichkeit; Feministin zu sein ist ein ständiger Kampf, den wir bis ans Ende unserer Tage weiterführen werden müssen.
Wer würde auf deinem Wunsch-Festival spielen? Ein spezielles Lineup?
Es ist sehr schwer das zu beantworten. Ich bin eine musikalisch sehr offene Person, weshalb es sehr viele Bands gibt die ich noch nicht live gesehen habe und sehr gerne sehen würde. Meine Liste ist sehr lang!!! HAHAHAHA Das Einzige, das ich mir für mein Wunsch-Festival wünschen kann, ist das es voller Respekt, Liebe, Kameradschaft und Bier ist!!! 😉
Auf welche in der Zukunft liegenden Ereignisse freust du dich besonders? Gibt es etwas, was du unbedingt demnächst erleben willst? Bestimmte Festivals, Artikel oder Interviews, Bands, etc. …?
Das perfekte Festival existiert für mich bereits, aber es hat leider schon zwei Jahre wegen der aktuellen Situation nicht stattfinden können. Es handelt sich um das Actitud Fest in Vidreres (Girona). Das Festival ist nicht gewinnorientiert und komplett DIY, es werden immer unabhängige Bands organisiert, ohne konkreten Stilen zu folgen, nur mit einer Philosophie des Herzens, keine Band ist besser oder wichtiger als die andere und natürlich ist auch keine Person besser als eine andere. Freundschaft und Leidenschaft für Musik haben zu einem der besten Festivals geführt, bei dem ich das Vergnügen gehabt habe gewesen zu sein. Und ich sage es noch einmal, schon weil es Menschen gibt, die alles für die Liebe zur Kunst tun, schon deshalb lohnt es sich immer weiterzumachen!!!
Actitud Fest rules!!!
Gibt es etwas, was du hier gern noch beantwortet hättest und was nicht zur Sprache kam?
Ich könnte tausend Sachen sagen… aber wenn ich mich für etwas entscheiden muss, möchte ich abschließend sagen, dass für mich das wichtigste ist, dass sich Menschen bewegen, aus der Lust heraus, ihr Leben und Umfeld zu verändern. Es ist der Anstoß zur Veränderung und ohne uns alle wäre das nicht möglich. Um unseren Schwestern, Freundinnen, Müttern und all jenen, die in dieser unterdrückenden Welt kämpfen, zu helfen. Nur wegen ihnen zahlt es sich schon aus weiterzumachen, ihnen beizustehen wenn sie es brauchen, da zu sein.
Danke für das Interview und niemals aufgeben.
No pasarán!!!
Sylv
Ojalä me muera Recoords
https://www.instagram.com/ojalamemuerarecoords
https://ojalamemuerarecoords.bandcamp.com
https://www.youtube.com/ojalamemuerarecoords
Ansïa
https://www.instagram.com/ansia_lh
https://ansiabcn.bandcamp.com
https://youtu.be/MzTSyOv-zYI
Femme Soroll
https://www.facebook.com/femmesorollfest
https://youtu.be/jleuQjD7Dd4