Interview mit Loikaemie
Interview von Karsten Kriesel:
Als Anfang der 1990er kurz vorm Erzgebirge pubertierender Stadtrand Punk erlaube ich mir diesen Diss: Sachsen und Oi! war zusammen oftt schwierig. Auf Konzerten tummelten sich zwischen sympathischen Skins zu oft handfeste Faschos, zu oft haben sich Publikum und Bands nicht daran gestört, nach dem Motto: Wir sind doch alle Kumpels, solange wir saufen.
LOIKAEMIE haben da zum Glück sehr früh schon nicht mehr mitgemacht und bei aller Oi!-Folklore immer klar politische Haltung gezeigt. Pünktlich zum 20. Bandgeburtstag hatte man sich mit ausverkauftem Doppelkonzert im Conne Island, gebannt auf einer legendären Live-DVD, eigentlich verabschiedet. 2019 hieß es überraschend „wir sind wieder da“, LOIKAEMIE spielten als Headliner auf dem Back To Future und wollten 2020 größer ausholen. Dann kam Corona. Nun geht es endlich weiter, bald stehen auch die ersten neuen Songs seit 15 Jahren an.
Im Interview erzählt Kopf der Band, Thomas Wettermann vom ausgebremsten Comeback, seiner Abneigung gegen Grauzone und „alte weiße Männer“ sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Broilers.
Karsten: Hey Thomas. 2014 habt ihr Euch, pünktlich zum 20. aufgelöst. Was waren damals die Gründe?
Thomas: He Karsten. Das hatte mindestens zwei Gründe: Einer war, dass ich 2008 nach Rostock gezogen bin. Aufgrund der Entfernung war dann alles nicht mehr so möglich, wie wir es gewohnt waren und wie wir es gern hätten. Das hat sich potenziert, spätestens 2012 / 2013 war klar, das funktioniert so nicht mehr. Konzertanreisen, Proben, alle Wege untereinander, das war alles schwierig. Es war auch erst mal nicht vorgesehen, dass ich aus Rostock wieder wegziehe.
Der andere Grund war so ein generelles Ausgelutschtsein. Textlich ist mir nichts mehr eingefallen, im Proberaum haben wir uns im Kreis gedreht, die Vorfreude auf Konzerte war nicht mehr so da. Wir haben das auch damals ernst gemeint, jedes gesprochene und geschriebene Wort. Aber ich kann ja nicht in die Zukunft kucken. Es haben sich halt Dinge verändert.
K: Nämlich?
T: Ich habe eine neue Frau in Leipzig kennengelernt, das war der Grund, 2018 wieder nach Leipzig zu ziehen. Und es hatte den schönen Nebeneffekt, dass wir Loikaemie wieder so aktivieren könnten, wie wir das möchten.
K: Wenn Du sagst, Du bist „wieder nach Leipzig“ gezogen: Bekannt wart ihr ja lange als „die“ Vogtländer Oi-Band aus Plauen…
T: Ja, Loikaemie war lange in Plauen verwurzelt. Paul und ich, die beiden längsten Betreiber dieses Ladens, kommen aus Plauen und unser Proberaum war lange dort in der Nähe. Da fing alles an, da war unsere Hood. 2000 bin ich dann das erste Mal nach Leipzig gezogen, da hat sich die Band dann entsprechend auch verschoben. Loikaemie hängt ja immer mit an meinem Gesicht und dann eben auch Aufenthalt.
K: 2019 hieß es überraschend, ihr spielt wieder, und zwar als Headliner auf dem Back to Future. Erst mal war das als einmalige Aktion kommuniziert. Wann war klar, dabei bleibt es nicht?
T: Nach dem das Back to Future gelaufen war. Wir hatten gesagt, wir machen das. Wir wollen mal kucken, wie es sich anfühlt und wie die Reaktion der Leute ist. Naja … war gut! (lacht)
Um das ein bisschen besser zu verstehen: Loikaemie ist ja mehr oder weniger meine Band, meine Texte, meine Musik. Das sage ich deswegen, weil das der Grund ist, warum ich das nie aus den Augen verloren habe. Ich habe mich vielleicht ein bisschen aus der Szene zurückgezogen, alles ein bisschen aus der Entfernung betrachtet. Aber Loikaemie war in meinem Kopf immer präsent. Als wir das 2019 beim Back to Future gemacht haben, hatten wir dann alle irgendwie Bock, weiter zu machen.
K: Beinahe musste ja schon das Konzert zum Back to Future wegen Unwetter buchstäblich ins Wasser fallen. Durch Corona wurde dann alles ausgebremst. Wie war das für Euch als Band, die eigentlich ganz anderes vorhatte?
T: Ja, war doof. So, wie für viele andere. Unser Glück war: Wir hatten zwar entschieden und bekanntgegeben, dass wir wieder spielen, aber wir hatten keine feste Tour oder Platte angekündigt. Von daher war für uns ok, dass wir uns ein bisschen zurücklehnen konnten, schon mal wieder mehr mediale Präsenz gezeigt haben, damit die Leute sehen: Die gibt’s noch oder wieder, da passiert etwas. Zwei drei Konzerte haben wir ja auch gespielt.
K: Aber längst nicht so viel, wie ihr ursprünglich ab 2020 wolltet…
T: Nein, gar nicht. Aber es hat immerhin die Aufmerksamkeit hochgehalten und ich glaube, die Leute freuen sich auf das, was kommt.
K: Was habt ihr während Corona als Loikaemie gemacht? Stand irgendwann alles nochmal auf der Kippe?
T: Nein. Es ist ja auch ganz viel im Hintergrund passiert. Wir waren im Studio, haben uns um unsere neuen Aufnahmen gekümmert. Das ganze Drumherum: Brauchen wir ein Label, machen wir selber eins? Alles, was um so eine Band noch herum gebaut werden muss. Dafür hatten wir viel Zeit.
K: Ihr habt also die Zeit genutzt. Dass es neue Songs geben wird, habt ihr ja schon 2019 angedeutet. Wie sieht es hier aus, wann dürfen wir uns auf ein neues Album freuen?
T: Es schreitet voran. In unseren Köpfen existiert auch ein Termin und ein Plan, wie es weitergeht. Die erste neue Veröffentlichung seit 2008 wird noch dieses Jahr erscheinen. Aber wir überlegen noch, wie wir das attraktiv machen. Es wird noch kein ganzes Album erscheinen! Das steht am Ende dieser Kette, davor kommen ein paar Singles, die schon lange durch unsere Köpfe geistern.
Wir sind entspannt, Loikeamie ist für uns ein Hobby! Wir machen es dann, wenn wir Zeit und Lust haben. Wenn Zeit und Lust nicht da sind, passiert auch nichts. Wir machen uns keinen Stress!
K: Das klingt wirklich sehr entspannt. Viele Bands bereiten ihr Comeback ja größer vor, hauen ein neues Album raus und gehen dann auf Tour…
T: Das Album kommt! Wir wissen das! Wir haben alle Familie, wir gehen alle arbeiten, wir machen das so, wie wir können und wollen. Loikaemie nimmt schon sehr viel Platz bei jedem von uns ein, aber es kommt wie es kommt. Die Leute wissen: wir sind wieder da und jetzt wissen sie auch: Da kommt noch mehr. Und wenn ich in unsere Historie betrachte: In zwei Jahren gibt es uns dreißig Jahre, bis jetzt haben wir ganze vier Studioalben und ein Livealbum gemacht. Das klingt vielleicht doof, aber andere Bands müssen da viel viel mehr machen um auf dem gleichen Level zu sein. Wir haben irgendwann festgestellt, dass das, was wir haben, immer noch reicht, die Lust der Leute am Leben zu halten und die Hallen voll zu machen. Loikaemie ist halt mit anderem verbunden als immer nur mit einem neuen Output. Und das funktioniert immer noch, also machen wir uns keinen Stress, sondern einfach weiter…
K: Auch, wenn es früher bei Euch Oi-typische Songs gab, die eher die unpolitische Party hochgehalten haben: Ihr wart nie wirklich unpolitisch. Aber man hatte dann das Gefühl, das sei über die Jahre für Euch immer wichtiger geworden. Liege ich da falsch?
T: Das war schon immer wichtig. Ich habe mich immer dagegen verwehrt, als unpolitisches Aushängeschild für die Oi-Szene gesehen zu werden. Wenn die Leute so etwas sagen, verorten sie das in einer Zeit Anfang, Mitte der 1990er. Das war eine Zeit, wo man das Gefühl hatte, die linken wie die rechten Einflüsse auf unsere Szene nehmen so krass zu, dass wir uns erst mal zurückbesinnen wollten, auf das, was wir eigentlich in dieser Szene haben. Deswegen war damals die Aussage: In erster Linie geht es um Kleidung und Musik, nicht um Politik. So sollte es bleiben. Das ist dann leider nicht so geblieben. Es gab, von beiden Seiten, garvierende Eingriffe, woraufhin sich die ganze Szene verändert hat. Das hat dann auch zur Grauzone und der Diskussion darum geführt. Das war für Loikaemie dann auch ein Grund, diesen Weg mitzugehen und zu begleiten. Und eben nicht 30 Jahre lang denselben Quatsch zu erzählen, den man davor auch schon 30 Jahre lang erzählt hat.
K: Das heißt, ihr klammert Euch nicht automatisch an Szenefolklore und bleibt wach für Neues? Politisch seid ihr ja auch nochmal aktiver geworden in den letzten Jahren…
T: Das schreibe ich auch immer wieder oder antworte auf Kommentare: Wir stehen im Leben. Ich bin kein Skinhead, der auf einem anderen Planeten wohnt. Ich wohne auf dieser Erde, hier gehe ich arbeiten, hier höre ich Musik, habe ich Familie. Das muss man alles unter einen Hut kriegen. Und wenn sich die Gesellschaft politisch dahingehend verändert, dass es notwendig ist, was zu sagen, dann passiert das auch.
K: Wie hat sich Oi! & Skinhead-Szene in deinen Augen gewandelt? Gelingt es inzwischen besser, sich z.B. gegen rechts abgrenzen?
T: Bei der jüngeren Generation merke ich, dass die viel mehr Wert darauf legen, wer man ist, wie man ist, was man sagt, was man für Freunde hat. Es gibt heute so Standards, die es eigentlich schon immer gab, aber heute zum Teil viel enger gestrickt sind. Das finde ich zum Teil gut und kann es nachvollziehen, damit nicht die gleichen Fehler passieren, wie uns. Eben dass sich dann doch Nazis in der Szene rumtreiben und man diese Grauzone hat. Auf der anderen Seite muss an natürlich kucken, was treibt das für Spitzen. Diskussionen um einen Schlagzeuger auf der Bühne, der sich das T-Shirt auszieht, weil ihm warm ist, führe ich nicht mehr.
K: So sehr sich Oi! seiner Tradition verhaftet sieht, scheint ihr also trotzdem Veränderungen und jüngeren Einflüssen recht offen gegenüber zu stehen.
T: Ja, die jungen Leute machen viel und verändern auch viel. Und bei vielen „älteren“, so in meinem Alter, merke ich richtig, wie die so stehen bleiben. Die wollen gar nicht mehr mitgehen, die wollen sich nicht verändern. Die wollen nur ihren Kram machen, die wollen Antifa und Linke doof finden, finden irgendwie auch Migranten doof, obwohl die in ihrer Welt gar nicht da sind. Eigentlich will ich die geflügelte Wendung „alte weiße Männer“ gar nicht so in den Mund nehmen, aber am Ende ist es leider so.
Das hat dann für mich nichts mehr mit dieser Szene zu tun, die war ja selbst in den 1960ern schon solidarisch und freundschaftlich geprägt. Das sollte auch heute noch der Hauptgrund sein.
K: Hat dann die Szene, hat dann Oi! überhaupt noch eine tiefere Bedeutung für dich?
T: Es ist diese gemeinsame Basis, die man doch noch hat: Aussehen, Kleidung, Musik. Natürlich verändern sich auch da Sachen, aber es ist immer noch eine existierende Gemeinsame Grundlage, auch für die neue Generation. Was es für mich persönlich bedeutet, ist eben leider nicht mehr das, was mal bedeutet hat: Außenseiter sein! Man war tätowiert und sah gefährlich aus. Das ist heute Mode und Alltag, in der Gesellschaft aufgegangen. Ja, es ist immer noch eine etwas auffälligere, andere Art, seine Meinung kundzutun. Ich fühle mich hier immer noch einer „Subkultur“ zugehörig, was ja schon per Definition heißt, dass das nicht jeder macht. Aber dieser ganze Skinhead-Charakter im Punkrock, was es für mich damals so attraktiv gemacht hat, das existiert für mich so nicht mehr.
Aber so ist das: Die 1990er waren eine andere Zeit, davor waren die 1980er auch schon eine andere Zeit. Mit dem was ich habe und hatte, mein Freundeskreis und meine Blase: Da fühle ich mich wohl, da passiert nichts unvorhergesehenes im positiven Sinne. Und andere Facetten interessieren mich gar nicht mehr.
K: Kollegen wie die Broilers oder Dritte Wahl feiern ja inzwischen immer größere Erfolge, ohne ihre Basis ganz hinter sich zu lassen. Wie stehst du dazu?
T: Ich kann das sehr gut anerkennen, aber eher die Leistung von Band und Musiker:innen. Broilers und Dritte Wahl kenne ich eben auch privat und habe jahrelang ihre Wege mit verfolgt. Man muss das so ein bisschen trennen. Wie bei mir: Ich habe immer gesagt, ich bin nicht hauptberuflich Skinhead. Ich bin erst mal ich. Und dann kann ich vielleicht etwas besonders gut und habe Spaß daran und dann mache ich das. So ist das bei diesen Bands auch: Die haben gemerkt, das, was mir machen gefällt uns und es gefällt den Leuten. Und das ist auch ein ausschlaggebender Punkt, sich weiter zu entwickeln. Natürlich gehört diese ganze Industrie darum auch dazu. Und wenn man diesen Weg geht und merkt, das hat Erfolg, dann finde ich es nicht schlimm, damit eine große Halle voll zu machen, damit Geld zu verdienen und es trotzdem Punkrock zu nennen.
K: Verstehst du Leute, die hier nur über „Ausverkauf“ wettern?
T: Ich kann zwar bei so großen Bands Kommerz-Gedanken nachvollziehen, aber eigentlich ist es auch skurril, ich finde, da muss man eher einen Schritt zurück gehen und von einer anderen Ebene schauen: das sind halt Bands, die sich weiter entwickeln. Wie eine Firma, die ein cooles Auto baut: Wenn das immer mehr Leute haben wollen, muss diese Firma expandieren und mehr Autos bauen.
Ich finde es ok, was die machen, ich würde da nicht mit dem Finger auf die zeigen um zu sagen, die hätten irgendetwas verraten. Das steht mir gar nicht zu. Und ob er das dann hören mag oder nicht, kann dann jeder für sich entscheiden. Um ehrlich zu sein: Broilers ist mittlerweile auch nicht mehr meine Musik, aber ich habe immernoch Respekt vor den Jungs und Mädchen! Erstmal nachmachen und nicht nur das Maul aufreißen!
K: Aber für Euch kommt es nicht in Frage, auch nach dem Erfolg zu schielen?
T: Mein Weg wäre es nicht. Bei Loikaemie haben wir uns halt genau für das Gegenteil entschieden. Trotz des merkwürdigen Namens und trotz der teilweise merkwürdigen Texte hätten wir eine zeitlang die gleichen Möglichkeiten gehabt. Das haben wir aber explizit nicht genutzt. Loikaemie ist etwas anderes, keine Band zum Geldverdienen und davon leben. Vom Prinzip ist es aber das Gleiche: Wenn wir unsere neuen Aufnahmen veröffentlichen, werden die Leute wohl teilweise genauso doof aus der Wäsche kucken wie bei den letzten Broilers Alben. Es wird kein kompletter Stilbruch, aber man entwickelt sich als Mensch, als Skinhead, als Musiker weiter. Und das wird man auch hören.
K: Abschließend noch eine Frage zum Conne Oi! Land. Das schiebt ihr auch schon eine Weile vor euch her, am 4.06. ist es endlich so weit. Wie kam es zu Eurem „eigenen“ Open Air?
T: Alte Freunde von mir haben schon seit Jahren eine unabhängige, kleine Konzertcrew, die Sachen veranstalten und liebevoll aufziehen, weil sie da Bock drauf haben. Da ist auf der einen Seite die Idee geboren. Dann war damals noch der aktuelle Anlass, das Connewitz massiv von der Staatsanwaltschaft bedrängt wurde. Da spielt der immer noch nicht anständig aufgearbeitete Überfall von 2016 mit rein, sächsische Bands, die unverhältnismäßig im Verfassungsschutzbericht gelandet sind, jetzt die Geschichte mit Lina: Alles so Sachen, wo wir gesagt haben: Wenn, dann wollen wir hier was tun. Leipziger Bands versammeln, die alle das Gleiche wollen, so viele Leute wie möglich zusammen zu sammeln um dann auch so viel Geld wie möglich zu sammeln, um hier eine Unterstützung zu bieten für die, die es notwendig haben. Aktuell wird wohl ein Teil in die Hilfe rund um die Ukraine und Flüchtlingshilfe gehen und ein Teil in Richtung Lina und das Umfeld. Es hat auf jeden Fall einen Sinn, dass wir das machen.
Interview von Karsten Kriesel