Bullshit Bingo Teil 1 (aus dem PB #114)





Dieser Beitrag erschien im Plastic Bomb #114 im Januar 2021.
Den 2. Teil könnt ihr im neuen Plastic Bomb #118 lesen!

Bullshit-Bingo kenne ich aus Unterrichtsstunden in der Berufsschule und aus Weiterbildungen und Seminaren im letzten Job. In Prinzip handelt es sich um ein Trinkspiel ohne Trinken. Man legt vorher schriftlich fest, welchen Ausdruck die Person an der Tafel garantiert sagen wird und streicht den Satz ab, wenn er fällt.
Setzt natürlich voraus, dass die Person, die da frontal auf einen einquatscht relativ vorhersehbar handelt und das Spiel ist dazu da, das Prozedere erträglicher zu machen.


Ich hab das hier mal mit Sätzen gemacht, die ich von Männern tausendfach gehört habe. Das Besondere ist aber, dass es nicht um klassisches Mackerverhalten von irgendwelchen Prolls geht, das wäre hier auch zu langweilig.


Ich habe Sätze zusammen getragen, wie ich sie schon viel zu oft von den Jungs aus meinem Freundeskreis, von meinem nächsten Umfeld gehört habe. Von Gesprächspartnern, mit denen ich bis zu dem Punkt eine super Diskussion hatte …bzw einfach Typen, von denen ich sehr viel halte.
Bis bzw obwohl dann irgendwann einer der folgenden Sätze fällt.


So Jungs: Streicht das Feld durch, wenn ihr den Satz selbst schon mal gesagt habt. Ich erklär euch auch gerne in aller Freundschaft, warum das dumm von euch war.





Du bist echt nicht wie andere Frauen!
Danach kommen meistens Aussagen, dass man mit mir gut saufen kann, dass man nie auf mich warten muss oder ich keine großen Ansprüche bei Schlafplätzen veräußere.
Aber was heißt das? Dass ich „besser“ bin als andere Frauen? Angenehmer im Handling? Weniger nervig für die Typen? Dass ich bei den klassischen männlichen Abläufen nicht störe oder unangenehm auffalle?
Soll ich mich mit anderen Frauen messen und mich jetzt cooler fühlen, weil „männlicher“ bzw gefälliger?


Du siehst in der Klamotte echt gut aus!
Ja danke, das interessiert mich aber grade nicht.
Nicht falsch verstehen, das heißt nicht, dass ich ein generelles Problem mit Komplimenten habe. Die Frage ist wie immer die Art und das Timing.
Wenn ich grade versuche, etwas zu erklären. Oder was Schlaues gesagt habe. Oder mich gegen etwas durchsetzen muss, hab ich wenig Bock, mich auf mein Äußeres reduzieren zu lassen.
Mich hat vor einiger Zeit mal jemand gefragt: „Bist du in der Stimmung für ein Kompliment zu deinem Outfit?“
Fand ich super cool, respektvoll und auch originell.
Aber mich in einer Situation, in der ich mit dem Kopf grade ganz wo anders bin, will ich nicht das Gefühl kriegen, dass nur mein Äußeres zählt.


Noch ne alte Geschichte: Ich kam mal in Hot Pants ins Plastic Bomb Büro, einem Ort, bei dem ich seit dem ersten Tag davon ausging, dass hier andere Regeln gelten als in einem normalen Büro.
Mein ehemaliger Kollege meinte „du siehst richtig gut aus in dem Höschen…wie soll ich mich denn da heute konzentrieren?“
Ratet mal, wer sich den ganzen Tag beobachtet und abgewertet gefühlt hat?


Kennst du die Band?
Oder noch schrottiger: Das ist die Band…..“
Erlebe ich eigentlich bei jedem Plattenstand, an dem ich arbeite. Dass Typen ihrer Begleitung (oder MIR als Verkäuferin) beim Blättern unaufgefordert eine Schallplatte unter die Nase halten und drauf los erklären.
Ein Verhalten, das ich bei Frauen noch nie beobachtet habe.
Ich selbst freue mich über Musiktips. Aber manchmal frage ich mich schon, ob die „erklärende Person“ denkt, ich wäre noch nie auf nem Punkkonzert gewesen. Es bedarf einfach Feingefühl dafür, das eine Person mit ner Jacke voller DIY-Patches vielleicht keine Erklärung zu Misfits oder Ramones, Motörhead und dergleichen braucht.
Und ich meine hier nicht das euphorische „ich liebe die Platte, das will ich dir jetzt erzählen“ wenn mal wieder jemand die white-light-white-heat Lp aus der Kiste zerrt. Das ist ok. Sondern das klassische, unaufgeforderte „schau mal hier, geile Band, ich kenn die natürlich schon aber du sicher nicht“.


Aber da, wo ich zu Konzerten gehe, in meiner Region, sind eigentlich total viele Frauen.
Ja, kann ja sein.
Aber zahlenmäßig möchte ich mal ein einziges, gut besuchtes Punkkonzert erleben, (das kein explizites Ladiesfest ist) bei dem zufällig mehr Frauen als Gäste da sind als Männer. In Zahlen, nicht gefühlt. Ich habe das in den vielen letzten Jahren noch nie erlebt.
Des Weiteren kann’s schon sein, dass da „viele Frauen waren“, dennoch darf man sich mal fragen, warum es schon eine Besonderheit ist, wenn dann mal mehr Frauen als Männer AUF der Bühne stehen. Das kommt vor, aber nie als Selbstverständlichkeit, nie als Zufall, sondern weil jemand sich beim Booken sehr viel Mühe gegeben hat. Und meistens wird dann auch noch explizit drauf hingewiesen.


Ich behandel in meinem Freundeskreis Männer und Frauen komplett gleich.
Das ist ja auch vielleicht genau das Problem!
Keine Frage, der Ansatz ist echt gut. Gesellschaftlich vorgegebene Männer- und Frauenrollen müssen abgeschafft werden, jede_r sollte sich verhalten dürfen, wie man mag.
Im Punkrock heißt das aber meistens, sich der klassisch männlichen Verhaltensweise anzunähern, da die im Punkrock „normal“ ist.
Wenn du also deine weiblichen und männlichen Freunde „gleich behandelst“ bedeutet das meistens, dass das Verhalten männlich geprägt ist. Denkt mal drüber nach.

Ein Beispiel: Ein Kumpel von mir will eine gemeinsame Freundin in seine Band holen. Er fragt sie, fragt sie vielleicht sogar ein zweites mal, sie sagt zwar zu, kommt dann aber nicht im Proberaum vorbei, die Sache verläuft im Sande.
Am Ende kriegt ein Typ den Job, weil er eh schon im Proberaumkomplex rumgeschlichen ist und wegen seiner anderen Band „eh da war“.


Meine Erfahrung beim Fanzine ist, dass man Frauen immer öfter fragen muss, richtig überzeugen muss. Frauen bringen oft viel mehr Ängste mit, wenn es um aktive Szenebeteiligung geht. Man braucht niemanden zu überreden oder gar zu nötigen. Aber Support bieten, Ängste nehmen, vor allem auch mal vorsichtig nachfragen, ob es Unsicherheiten gibt oder sich erst mal zu zweit treffen kann echt ne riesen Hilfe sein!


Für ne Frau hast du echt ’ne große Plattensammlung!
Wofür der Zusatz? Sagst du zu deinen Kumpels auch „für nen Mann hast du…“ oder „für nen Typ mit großen Füßen hast du ne große Plattensammlung“ ?
Mag sein, dass ich viele Platten besitze. Kann aber sehr gut sein, dass es Menschen gibt, die mehr Platten haben als ich.
Also das Kompliment, dass das „viele“ Platten sind, finde ich komisch, weil ja kein Vergleichswert angeführt wird.
Außerdem verdeutlicht es ja nur, dass ich viel kaufe. Qualität, Geschmack, Exklusivität wären sinnvollere Komplimente, aber auch das ist ja sehr persönlich. Und garantiert nicht geschlechterspizivisch.
Also was bleibt von dem vermeintlichen Kompliment? Auch hier wieder der Wettstreit mit anderen Frauen? Und soll und mich am Ende freuen, dass ein Typ noch nicht erlebt hat, dass eine Frau „viele“ Schallplatten hat….?


Was macht denn dein Freund heute?
Erzähl ich dir gern. Wenn’s was zur Sache tut.
Nicht selten erlebe ich diese Frage, wenn die Leute einfach nicht wissen, was sie sonst mit mir reden sollen. Aber kleiner Tip: Davon wird die Situation nicht weniger unangenehm.
Aufmerksamer Smalltalk zu welchem Thema auch immer oder einfach die Frage nach meinem Befinden wären angenehmer.


Die Dame“
Oder noch schrottiger: „Die holde Weiblichkeit“
Eine Bezeichnung, die in persönlichen Gesprächen, aber vor allem in Fanzine-Texten oder Interviews oft verwendet wird, wenn ÜBER eine Frau gesprochen wird.
Mit der Bezeichnung „die Dame“ wird eine merkwürdige, übertrieben höfliche Formulierung voraus geschickt, die irgendwie erahnen lässt, dass der Rest der Beschreibung gleich nicht so höflich sein wird, man sich als Sprecher aber nicht in die Nesseln setzen will.

Wenn da steht „die Dame lässt es aber auch gern krachen“ oder „die Dame ist aber auch stadtbekannt“ oder „das wird der holden Weiblichkeit nicht gefallen aber“ versucht man, von einer Beleidigung abzulenken, um sich nicht als Frauenfeind oä verdächtig zu machen.

Ein zusätzlicher Grund, warum ich ein riesen Problem mit der Formulierung habe: Ich bin keine Dame.
Meine Mutter sagte mir immer „jetzt verhalte dich doch mal wie eine Dame“. Ich bin aber lieber Punk geworden. Um mich NICHT wie „eine Dame“ verhalten zu müssen.
Mit der Bezeichnung weist man Frauen in ihre Ecke! Man grenzt sie aus. Man macht sie zu etwas, was im Punk keinen Platz hat.
Aber man MEINT das natürlich alles total nett, klar.


Du bist so hübsch, wenn du lächelst!
Lächel doch mal, oder is was mit dir?

Selten, sehr selten ist diese Frage einfach nur fürsorglich gemeint. Meistens fühlen sich die Menschen, vor allem die Männer unwohl bis verunsichert, wenn eine Frau in ihrer Gegenwart böse oder gelangweilt guckt.
Warum das so ist kann ich nur spekulieren, aber ihr habt ja die Chance, mal in Ruhe drüber nachzudenken und euch die Frage selbst zu beantworten.


Meine Freundin sagt aber auch, dass das ok ist!
Kommt meistens vor, wenn ich jemanden kritisiere und die Person eine Referenz für ihr Verhalten sucht.
Weder ich, noch diese besagte Freundin sind die gewählten Sprecherinnen für alle Frauen auf der Erde. Oder im Punk. Darum macht das Sinn, dass ich etwas scheiße finden darf, was eine andere Frau total ok findet.
Aber: Das ist nicht verbindlich und heißt nicht automatisch, dass ihr Recht habt, weil eine Frau, die euch vermutlich auch noch „gut kennt“ das OK gegeben hat.
Und als Ergänzung: Nur, weil in einer Band oder bei nem Fanzine etc eine Frau mitmacht, heißt das auch nicht automatisch, dass diese Gruppe anders bewertet werden darf.


Du nimmst immer alles so persönlich!
Ignorier‘ das doch einfach mal.
Klingt nach nem Satz, der lieb gemeint sein könnte. Um mir zu erklären, dass es „das nicht wert ist“ sich den Tag versauen zu lassen. Ist aber total übergriffig und ignorant. Denn was wisst ihr, warum Sätze bei mir ins Mark gehen, warum ich mich getriggert fühle, warum einfachste Aussagen bei mir schlechte Laune und Unwohlsein auslösen?
Viele Dinge sind es nicht wert, persönlich genommen zu werden. Aber das entscheidet nicht mein Hirn, sondern meine Seele. Muss ich mich jetzt zusätzlich schlecht fühlen, weil ich „zu empfindlich“ bin? Weil ich euch grade in eurer Partylaune störe, weil mich ein Satz total getriggert hat?


Trau dich!
Einfach machen, das kannst du schon!
Schon klar. Mein Kopf weiß, dass „ich das kann“. Dass ich das, was ich mir vorgenommen habe, vielleicht auch schon mal gemacht hab. Oder sogar gelernt habe. Oder so gut improvisieren kann, dass ich das mindestens so gut hinkriege wie die Typen.
Mein Problem und ein Großteil meiner Erfahrung ist aber, dass (nicht nur im Punk, aber da besonders) bei Frauen immer kritischer hingeschaut wird als bei Männern. Egal ob auf der Bühne, in der Organisation von Abläufen, beim Sprechen vor vielen Leuten, bei der Fanzine-Arbeit.
Allein durch das Exotisieren von Frauen (Bezeichnungen wie „Female-Fronted“ oder „All Girl Band“) hat man ja schon nen Leuchtpfeil überm Kopf hängen.
Wenn dann auch noch ein Mann ankommt, diese genannten Umstände ignoriert und so tut, als wäre für eine Frau alles genau so einfach wie für einen Mann, stresst mich das mega.
Nochmal: Ich glaube nicht, dass ich das weniger gut kann. Ich beobachte aber, dass ich anders beurteilt werde. Und das verunsichert mich.


Kannst aufhören mit schminken, du siehst schon voll hübsch aus!
Oft bei Festivals gehört, wenn ich vorm Zelt oder im Auto sitze und mein Gesicht bemale.
Gegenfrage: Geht dich das irgend etwas an? Wen interessiert deine Meinung?
Ob ich mich schminke und mir die Haare mache, um für meinen Eigenanspruch schön auszusehen. Oder um jemanden zu beeindrucken. Oder weil ich unsicher bin. Oder weil ich auffallen will. Oder aus was für einem anderen Grund, es ist einzig und allein meine Sache, die du nicht zu kommentieren hast!
Was denkt sich ein Typ dabei, der an mir vorbei geht oder mich beobachtet und mir dann so einen Satz zuruft? Dass ich denke „geil, ein vollkommen fremder Mann findet mich schön, auch wenn ich nicht geschminkt bin, das verändert jetzt total mein Leben“?!
Vor allem ist es eine Frechheit zu glauben, dass ich mich selbst nicht schön finde, mich aber schminke, damit mich andere (er) schön finden…und man mir das nur endlich mal sagen muss?!


Ich nehm dir das mal ab!
Ein Klassiker. Wenn ich mich beschwere, folgt oft ein „ich wär froh, wenn mir jemand meine Sachen tragen würde“
Das mag ja sein. Niemand schlägt sich darum, schwere Sachen von A nach B zu tragen. Trotzdem kein Grund, jemanden zu bevormunden und Sachen aus der Hand zu reißen.
Vor allem, weil hier einfach mal voraus gesetzt wird, dass es für eine Frau problematischer ist, ein schweres Teil zu tragen. WEIL sei eine Frau ist. Und damit automatisch schwächer?!
Ein höfliches „soll ich mit anpacken?“ ist vollkommen ausreichend!
Oder ihr schnappt euch die Sachen, die noch im Auto liegen und macht einfach mit, dann sind wir alle schneller am Tresen.


Das sind jetzt alles wieder so „First World Problems“.
Ein Satz, der früher oder später unter jeder Feminismus-Diskussion auftaucht.
Vor einiger Zeit hab ich einem alten Bekannten von meinem Streit mit einer Band erzählt, die damals im Laufe der Diskussion richtig zudringlich geworden ist, mich mit sexistischen Äußerungen und Anzüglichkeiten belästigt hat.
Mein Bekannter meinte dazu: „Ja weißt du, Ronja, mit solchen Themen belaste ich mich gar nicht mehr. Ich arbeite jetzt mit geflüchteten Menschen, da hat mir einer erzählt, dass er die Leichenteile seiner Schwester einsammeln musste. DAS sind echte Probleme.“
Was soll ich zu diesem Totschlagargumten sagen? Ich glaube, es gibt kaum etwas schlimmeres als die Leichenteile seiner Schwester einsammeln zu müssen.
Das heißt aber nicht, dass die Probleme, auf die Frauen wie ich versuchen aufmerksam zu machen, nicht mehr zählen.
Und dass sich nicht auch Männer, die von beiden genannten Dingen selbst NICHT betroffen sind, sich nicht mit beidem auseinander setzen müssen.
Hier wird der Maßstab, was „echte Probleme“ sind, so hoch gehangen, dass kein anderes Problem mehr dran kommt. Und mein Bekannter bringt sich damit in die luxuriöse Situation, sich nach eigener Aussage mit nichts davon mehr auseinander setzen zu müssen. Vor allem, weil ihn keins von all dem Betrifft!


Aber der Schlimmste, der absolut aller-schlimmste Satz ist:
„Warum hast du dir das denn bieten lassen?“
„Warum haste dem Typen nicht direkt eine geklatscht?“

Sätze, die von Freunden kommen, nachdem ich ihnen erzählt habe, dass ich grade abgebaggert, scheiße behandelt oder belästigt wurde.
Der Satz ist so schlimm, weil ich die Antwort darauf selbst nicht kenne. In solchen Situationen ist man oft wie das Kaninchen vor der Schlange, man hängt zwischen den Stühlen zwischen der (meist weiblich sozialisierten) Seite „das hat der grad nicht böse gemeint“ und dem Gedanken „das ist jetzt grade nicht wirklich passiert, oder?!“
Auf jeden Fall sucht man die Schuld für das augenblicklich auftretende, beschissene Gefühl IMMER erst mal bei sich selbst. Klassische Schutzfunktion. Aber jede sensibilisierte Person weiß, dass das nicht stimmt und einen selbst keine Schuld trifft. Also fragt man sich genau die Ausgangsfrage „warum lässt du das mit dir machen“ selbst und ärgert sich natürlich doppelt über sich selbst.
Eine unterstützende Reaktion wie „Ach du scheiße, und, geht’s dir gut?“ würde viel mehr helfen.
Genau so schlimm ist es übrigens, wenn ich mich irgendwo in Online-Artikeln lange und ausführlich mit Stresssituationen wie Belästigungen auseinander setze und dann ein Typ einen vermeintlich geilen Satz raus rotzt, den ich mal hätte bringen können. Weil das ja so einfach ist.





Und, wie viele Sätze habt ihr bei euch selbst wieder erkannt?
Gebt gern Feedback.