Riotkäppchen im Interview

Trotz Corona sprießen glücklicherweise immer noch neue Bands aus dem Boden! Und damit die Zeit bis zu den ersten richtigen Konzerten nicht so lang wird, habt ihr hier die Möglichkeit eine dieser neuen Bands mal etwas genauer kennenzulernen. Nachdem ich das große Glück hatte sie bei einem Livestream-Konzert zu besuchen, haben mir Riotkäppchen auch noch ein paar Fragen beantwortet. Viel Spaß damit und hört unbedingt mal rein, im Livestream-Video vom Bandhaus Leipzig gibt es ein paar echte Highlights des Abends. 😉

Hallo Riotkäppchen, kürzlich habe ich euch ja live beim Live Stream Konzert besucht und war ziemlich begeistert, könnt ihr für unsere Leser*innen noch einmal kurz erzählen, wer ihr seid, wo ihr herkommt und wie ihr euch zusammen gefunden habt?

Paula + Ela: Wir sind Tarcy Riot, PJ Riot und Ela Riot und wohnen alle in Leipzig. Anfang letzten Jahres haben wir beschlossen zusammen Musik zu machen. Es war von Anfang an recht klar, dass es in die Richtung Punk gehen soll.

Tarcy: Ich weiß noch, dass Paula und Ela damals bei Koprolith angefangen haben, Bass und Drums zu spielen. Wir haben gemeinsame Konzertabende durchlebt und fanden uns glaube ich schon lange gegenseitig sympathisch. Dann kam die Idee, eine neue Band zu gründen – es wurde noch eine Sängerin/Gitarristin gesucht, und schwupps! war ich dabei.

Wie ist eure musikalische Sozialisation? Punkrock von Anfang an oder habt ihr vielleicht sogar noch in ganz anderen Genres gespielt?

Ela: Ja, würde ich schon sagen. Das hat – dank meiner Schwester – schon früh mit Rock angefangen. Aber wenn mir etwas gefällt, dann feier ich das, egal welches Genre. Ich spiele noch nicht allzu lang in einer Band, deswegen habe ich selbst noch nicht so viel ausprobiert, aber das ist auf jeden Fall in Planung.

Paula: Bei mir ging es ebenfalls mit Punkrock los, aber im Laufe meiner Jugend war ich fast in allen Genres unterwegs. Obwohl mir Punk natürlich besonders am Herzen liegt, bin ich musikalisch weiterhin sehr offen und leicht zu begeistern. Schlagzeug spielen kam bei mir aber auch erst in den letzten Jahren dazu.

Tarcy: Seit meiner Jugendzeit höre ich Punk, Grunge und Riot Grrrl. Ich versuche v. a. die Netzwerke hinter Musikszenen zu verstehen, so wie das auch in der Leipziger Szene geschieht… Drummer A spielt nicht nur bei Band A, sondern taucht dann plötzlich bei Band C wieder auf, usw. – so entdeckt man immer wieder neue Bands, die man selbst vorher noch nicht kannte. Zurzeit höre ich fast ausschließlich nur noch Bands, die größtenteils aus Frauen bestehen, da ich mich durch FLAG (Fight like a Grrrl Booking) intensiv mit dem Thema auseinander setze und fast täglich neue Bands entdecke.

Wie habt ihr euer erstes Live Stream Konzert so empfunden? 

Ela: Super kuhl. Am Anfang war es schon aufregend und ich war etwas unsicher so ganz ohne Publikum, das irgendwelchen Blödsinn ruft. Aber die Menschen vom Bandhaus haben eine schöne Atmosphäre geschaffen, sodass sich die Nervosität nach wenigen Minuten auf der Bühne gelegt hat.

Paula: Dem schließe ich mich an. Es fehlte das Feedback vom Publikum, aber das flattert jetzt auch peu à peu rein. So haben wir vielleicht auch länger was davon. 😉

Tarcy: Ja, es war wunderbar! Die Atmosphäre, die Orga und auch die Umsetzung war professionell, herzlich und zum Wohlfühlen. Im Grunde musste frau überhaupt nicht aufgeregt sein. Nur die technischen Schwierigkeiten brachten mich beim Soundcheck und zu Beginn der Show etwas aus der Ruhe.

Nochmal für alle, die es nicht gesehen haben: Was genau hat es mit “Setscho” auf sich?

Ela: Erstmal Setscho 😀 Seit ein paar Jahren ist Sekt wieder bei uns angekommen (oder wir bei ihm?!) Und aus Prosecco wurde Secco und angesächselt ist daraus Setscho geworden und unser Bandgetränk.

Paula: Außerdem klingt das Wort „Setscho“ gepöbelt und geschrien auch viel besser als „Sekt“.

Tarcy: Riotkäppchen kann und wird es nicht mehr ohne das Wort „Setscho“ geben. Wir haben sogar einen Song, der „Setscho Setscho“ heißt und eine Liebeserklärung zum Sekt darstellt.

Ihr habt bei der Aktion “Sag es mit Rotkäppchen” mitmachen wollen, bei der man sich im Zuge einer Sektbestellung seine selbst gestalteten Rotkäppchen-Etiketten erstellen lassen kann – was hattet ihr geplant und warum wurden eure Etiketten nicht gedruckt?

Ela + Paula: Freunde haben versucht ein Etikett mit unserem Bandnamen und Foto für uns bei der Aktion drucken zu lassen. Sie haben dann eine Absage bekommen, weil wir scheinbar mit „Riot“ gegen irgendeinen Algorithmus oder die politischen Vorstellungen eines/er Mitarbeiter*In verstoßen haben. Außerdem würden sie keine Fotos von Minderjährigen drucken. Ob das als Kompliment verstanden werden kann, weiß ich nicht.

Tarcy: Wie ich finde, eine Frechheit. Sie könnten von unserer Werbung so dermaßen profitieren, dass Rotkäppchen der neue Pfeffi in Punkkreisen werden könnte.

Von euch gabs sehr ermutigende Worte an alle Frauen und FLINT-Personen, die sich bisher noch nicht getraut haben in Bands zu spielen – woher nehmt ihr euren Mut? Habt ihr Vorbilder?

Ela: Vorbilder sind besonders Frauen, die ihr Ding durchziehen und dabei Spaß haben. Da kommt es nicht auf die Musikrichtung an. Wichtig sind in der Anfangsphase besonders die Menschen in der unmittelbaren Umgebung. Als ich vor ein paar Jahren angefangen habe Bass zu spielen war es echt gut, dass Paula parallel angefangen hat Schlagzeug zu lernen. Da kann man sich gegenseitig motivieren und freut sich doppelt, wenn etwas klappt. Außerdem haben wir mit unserem Bandpartner bei unserer ersten Band Koprolith jemanden, der sein Wissen und seine Erfahrung immer gerne teilt.

Paula: Dem stimme ich zu. Außerdem haben wir Glück mittlerweile in einer Stadt wie Leipzig zu leben. Auch wenn es noch genügend Sexismus-Baustellen in unserer Szene gibt, habe ich hier viele starke Flint* kennengelernt, welche mir imponierten (unabhängig ob sie Musik oder Kunst oder Handwerk oder sonstige Dinge machen). Da war Leipzig fast therapeutisch im Vergleich zu der Stadt, aus der ich kam.

Tarcy: Mein größter Einfluss in dieser Richtung sind Musikerinnen der 90er Jahre Riot Grrrl Szene. Sie haben mein Weltbild als Teenagerin stark beeinflusst und wirken bis heute auf mein alltägliches Handeln. Ich verstehe immer noch nicht, warum Frauen weniger gut geeignet sein sollten, Musik zu machen. Die Maßstäbe, die „gute Rockmusik“ ausmachen, sollten umgangen werden. Viel wichtiger ist es doch, eigene Ideen umzusetzen und Neues zu erschaffen.

Was denkt ihr, warum auf den Bühnen immer noch mehr Männer als Frauen* stehen?

Ela: Das sind gewachsene Strukturen, die natürlich auf gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen beruhen und sich demnach genauso zäh verändern. Aber manchmal wundert es einen doch, was für verkrustete Vorstellungen noch vorhanden sind.

Paula: Voll. Emanzipation ist halt leider auch ein langwieriger Prozess, welcher oft durch patriarchale Einwirkungen erschwert oder aufgehalten wird und sich auch regional/subkulturell/… sehr unterscheiden kann. Ebenso ist das bei den Locations und Veranstaltungen, weswegen noch viel Aufklärung, Gleichstellungs- und Awareness-Arbeit usw. notwendig sind.

Tarcy: Es ist eine Sache, in den eigenen vier Wänden Musik zu machen. Eine ganz andere Angelegenheit ist es, sich im Rahmen einer Band, sowie auf einer Bühne zu präsentieren. Selbst in der DIY Szene wird mit Ellbogen um jeden Slot, jede günstige Aufnahme- und Promomöglichkeit, um jeden Proberaum gekämpft. Welche Person hat schon Lust, sich diesem Kampf zu stellen und zusätzlich ständig belächelt, nicht ernst genommen, angestarrt und in Frage gestellt zu werden? Frau muss sich ständig behaupten, neu erfinden, gegen Klischees und Zurückweisungen kämpfen. Letztendlich gibt es auch zu wenige weibliche Vorbilder, zu viel Hemmungen, zu wenig Motivation. Alle Bands wollen einen Anteil vom Kuchen, der immer zu klein erscheint und oft habe ich das Gefühl, „Männerbands“ wollen ihren Platz am Tisch nicht teilen oder ganz verlieren.

Was hat euch in Bezug auf Sexismus zuletzt besonders aufgeregt? Aktuelle Debatten? persönliche Erfahrungen? Wenn ihr wollt, könnt ihr euch hier gern mal Luft machen.

Ela: Im Kleinen wie im Großen regt es mich immer wieder auf, wenn sich Menschen, in den meisten Fällen Männer, über Neuerungen bzw. Veränderungen, die fast immer eine Verbesserung für alle Geschlechter bedeutet, echauffieren. Das fängt bei frauenfeindlichen Witzen an und führt bis zu größeren politischen Debatten wie Paragraph 219a. Neulich habe ich das Firmenauto eines Handwerkbetriebs gesehen, das als Werbeaufdruck den Po einer Frau mit Werkzeuggürtel hatte und nebendran stand der Spruch „Richtig gut gebaut“. Muss frau dazu noch was sagen?

Paula: Es sind bei mir im Moment oft die kleinen Situationen im Alltag, die mir immer wieder erklären und beweisen, warum wir noch am Anfang eines langen Prozesses der Gleichberechtigung sind: Belästigungen, übergriffige Situationen (v. a. innerhalb der Szene tut es besonders weh), Unterschätzungen (v. a. wenn Frau das Gefühl hat nicht ernst genommen zu werden) und so vieles mehr. Aber eine Geschichte möchte ich an der Stelle aus dem Nähkästchen plaudern: Nach unserem Berlin-Gig beim Rand Gestalten-Festival waren wir zu dritt mit unserem Equipment in Elas kleinem Auto unterwegs. Weil wir am Vorabend etwas viel getrunken hatten, haben wir uns auf dem Rückweg ein kleines Päuschen an der Autobahnraste gegönnt. Gegenüber von uns parkte ein Auto mit vier schmierigen Typen mittleren Alters. Ela und ich hatten uns schon wieder ins Auto gesetzt und die Kerle gafften uns einfach minutenlang an. Als Tarcy zurück war, sind wir nur noch los gefahren und zur nächsten Raste. Widerlich solche ärmlichen Würste!

Tarcy: Der alltägliche Sexismus macht mir vor allem zu schaffen. Ich stehe morgens nicht auf und denke mir „Oh, ich bin eine Frau, ich kann dies und jenes nicht!“. Jedoch wird man anhand des Geschlechts oft anders wahr genommen und von vornerein beurteilt. Fähigkeiten und Eigenschaften werden zugeschrieben – seltsam, dass frau keine Sozialphobie entwickelt.

Einmal selbst Festival veranstalten (und wer weiß, vielleicht gibt es ja bald ein FLAG-Festival, Tarcy?) – was wäre euer perfektes Lineup?

Paula: Am besten bunt durchmischt durchs linksalternative Gemüsebeet mit ausgeglichener Flint-Quote. 😉

Tarcy: Ja, es gibt schon Ideen für ein oder zwei FLAG-Festivals, ich hoffe das kann dann 2022 umgesetzt werden! Am liebsten würde ich alle Bands aus meinem FLAG Katalog einladen! Und dazu noch größere Headliner wie Death Valley Girls, Skating Polly, Starcrawler, Coathangers und Nashville Pussy.


Wo und mit wem würdet ihr mit Riotkäppchen gern mal spielen?

Paula + Ela: Auf bestimmte Künstler*innen könnten wir uns gar nicht festlegen. Da gibt es zu viele. Aber wir würde gerne auf mehr Festivals und an anderen Orten spielen, wenn es Corona wieder zulässt. 

Tarcy: Aktuell gern mit Skating Polly, Bikini Kill und L7, da diese vermutlich 2022 live in Deutschland spielen! Am liebsten würde ich außerdem mal auf dem Stoned From The Underground spielen, aber dafür haben wir vermutlich den falschen Musikstil.

Habt ihr Empfehlungen für unsere Leser*innen? Bands, Kollektive, Labels,…?

Paula: Sehr viele. Natürlich auch FLAG-Booking und Flint*tones, aber ich würde auch gerne die Kanäle der T6 (Thierbacher Straße 6) empfehlen. Sie haben Facebook, Twitter und eine Homepage. Vielleicht kommt da bald ein etwas größerer Solisampler raus.😉

Tarcy: Sisters Of Music, Vinyldyke Records, Ladies & Ladys Label, Grrrl Noisy, Queers To The Front Booking, Tank Girl Media Group, Riot Grrrl Sessions, KNM Presents, Echo Zine & natürlich alle FLAG Bands!
Falls ihr selbst in einer Band spielt, die zu mindestens 50 % aus Flint* Personen besteht, meldet euch bei mir! fightlikeagrrrlbooking@gmail.com

Ela: Dann würde ich als letztes noch das Missy Magazine empfehlen. Da ist für jeden was dabei von Politik, Kunst, Literatur, Film bis Musik.

Danke euch für das Interview und hoffentlich sehen wir uns bald wieder in Real auf einem Konzert!