Diese Kriegsgeschichten haben früher schon genervt

Also wenn Vati loslegt – dann fragt man sich immer – was ist der bloß immer so wütend
hat er gemerkt – daß ihn keiner mehr ernst nimmt“ [Franz Josef Degenhardt – Vatis Argumente – 1968]

Der Punkopa im Interview mit dem Punkopa

Sag mal, hast du Lust über die guten alten Zeiten zu sprechen?

Ja, warum nicht, was willste denn wissen?

Wann waren denn deine guten alten Zeiten?

Die gingen so 1982/1983 los. Da habe ich die ersten Konzerte gesehen. Östro430 in Dortmund, Bluttat und die Hosen in Mülheim, EA80 in Düsseldorf. Ein paar Punks kennengelernt. Chaostage 84 in Hannover. Ab 85 dann selbst mit einer Konzertgruppe Gigs im Eschhaus veranstaltet. Vorher bin ich bei den Duisburger Grünen rumgeturnt, weil ich die Welt retten wollte.

Ich nehme an, da war Punk noch Punk ohne die ganzen Nervereien, mit denen man sich heute so rumschlägt?

Verstehe ich nicht, was für Nervereien meinst du?

Na, der ganze Internetschrott. Du weißt schon, die endlosen Debatten über alte weiße Männer, cancel culture, Mobbing. So ein Zeug halt. Ging damals doch ohne?

[leicht aggressiv] Das ist doch Quatsch! Wir hatten auch unsere alten weißen Männer. So hängengebliebene K-Grüppler, verständnisvolle Pädagogen und verhinderte Revolutionsführer, die dir die Welt erklären wollten. „Wo ist denn euer politischer Ansatz?“ „Damit solltet ihr euch theoretisch mal beschäftigen.“ Den haben wir mit voller Absicht nicht zugehört, um sie auf die Palme zu bringen. Das ging links rein und rechts sofort wieder raus. Die haben uns einfach nicht interessiert, weil wir unser eigenes Ding gemacht haben. [fängt an zu singen] „Ihr seid nichts als linke Spießer …“ Vielleicht waren die dann auch traurig, dass man ihnen nicht zugehört hat und haben es ihrem Frisör erzählt, oder in ihrer Kaderschmiede gemeinsam gegreint. War uns aber egal. Deren Zeit war halt vorbei. Das Internet konnten die mangels Internet zum Glück noch nicht vollheulen und sich als dreifach diskriminierte Jürgen-von-der-Lippes inszenieren. Weißt du, wer aber noch viel schlimmer genervt hat?

Lass es raus.

Diese Typen, die eigentlich zu uns gehörten, die 77 schon dabei waren und dir die alten Kriegsgeschichten aufgetischt haben. Wie geil das alles früher gewesen ist, dass du eigentlich gar keine Ahnung hast. Das du eine Spätlese bist. Die waren echt überheblich unterwegs. [zieht eine Negazione-LP aus dem Plattenschrank] Mir waren The Damned oder The Clash sowas von egal. Wir haben uns von Negazione volllärmen lassen, uns aufeinander gestapelt und den Bühnentaucher gemacht. Die waren mit ihrem Schunkelpogo die alten Fürze, haben es aber nicht gemerkt.

Okay

[schwer in Fahrt] Und cancel culture war unser Ding damals. Wir haben Funpunk verachtet. Ihr könnt woanders lustig sein, aber nicht in unserem Laden. Tschüss. Und euer Demo-Tape können wir nicht zurückschicken, liegt irgendwo im Eimer. Und wenn die Texte zu dumpfbackig waren, ging halt auch nix für die Bands. Großartig diskutiert wurde das nicht. Warum auch? Es gab ja kein Recht darauf, in unserem Laden, vor unserer Szene zu spielen.

[genervt] Beruhig dich doch mal. Aber dieses Scheiße-Sturmtruppen-Mobbing, das gab es damals nun wirklich nicht!

Das stimmt schon. Aber …

[leicht resignierend] … als hätte ich es geahnt …

… was hatten wir stattdessen? Eine Handvoll Szenepäpste und ihre treue Gefolgschaft! Die haben dann quasi von oben herab die Regeln festgelegt. Wer ist drin? Wer ist draußen? Wer ist nicht mehr auf Kurs? [macht Halsabschneider-Geste]. Die waren nicht zimperlich. Da wurden Leute auch gezielt aus der Szene gemobbt. Das war halt damals eher szeneintern, ohne die Zuschauer mit Popcorn-Fass, die immer da hingehen, wo gerade was los ist. Das war nicht unbedingt besser früher, vielleicht nur anders Scheiße.

[nach Konsens heischend] Über so einen Quatsch wie „safe spaces“ hättet ihr euch damals bestimmt aber auch lustig gemacht?

[aggressiv] Wieso hätten wir das tun sollen? Wir haben ja versucht uns unseren eigenen „safe space“ zu basteln. Viele von uns waren doch nix anderes als, mir fällt diese verkackte Althouse-Kampfvokabel gerade nicht ein …

… Snowflakes?

… genau, Schneeflöckchen. Ziemlich jung, gerne mit Alkohol- und Tablettenprobleme, notorische Kiffer, manche mit härteren Drogen am Start. Mit einem Sack voll Unsicherheiten auf dem Rücken. Ärger mit sich selbst, den Eltern, mit der Schule, mit der Ausbildung oder komplett in der Luft hängend, weil man nicht wußte, was man mit sich anfangen wollte. Punk war ja keine Veranstaltung für die selbstsicheren Erfolgsmenschen mit Karriereplan, sondern ein Sammelbecken für Loser aller Art. Ich wußte damals überhaupt nicht, wo die Glocken hängen. Da war der Laden und die Szene ein Ort, an dem man sich halbwegs sicher fühlen konnte.

Letzte Worte?

Den Satz „Früher war alles besser“ hab‘ ich schon immer gehasst.