Toxische Männlichkeit
Unser Kollege Roger hat im Plastic Bomb #107 / Frühjahr 2019 einen Beitrag über Toxische Männlichkeit geschrieben:
Punk ist eine Reflektion der Gesellschaft in einem etwas verdreckten Zerrspiegel.
Triggerwarnung :
Der folgende Text beschäftigt sich mit auch mit Themen wie Suizid und Depressionen. Personen die betroffen sind oder die das potentiell belastet sollten gegebenfalls nicht weiterlesen. Am Ende des Textes findet ihr Nummern die schnell und unkompliziert Hilfe anbieten können.
Neben ein paar Konventionen, mit denen gebrochen wurde, halten sich andere ziemlich uncoole Produkte unserer Sozialisation auch dort recht wacker.
Dazu gehört ein Verhaltensmuster, das auch im Punk leider eher die Regel als eine Ausnahme ist; die Rede ist von Toxischer Männlichkeit.
Warum erzähle ich euch das und überlasse das Feld nicht Gilette, die erst kürzlich mit einer Werbekampagne Aufsehen erregten und scheinbar nicht wenigen Männern große Angst machte?
Das erste mal gezielt auseinandergesetzt mit dem Thema Toxische Männlichkeit habe ich mich nach der Betrachtung des Videos “Samaritans” von “Idles”. Ich erinnerte mich an ein Buch, das ein Freund mit schon vor einiger Zeit empfohlen hat und das ich mir dann schließlich auch gekauft habe. “Boys don’t cry” von Jack Urwin geht tief in die Materie und beachtet dabei vielfältige Aspekte jenes Sujets.
Ausschlaggebend für den Autor zunächst einen Vice Artikel zu schreiben, der viel Beachtung erfuhr, und anschließend das Buch war der Tod seines Vaters. Sein Ableben wäre nach Annahme Urwins vermeidbar gewesen, hätte sein Vater sich nicht auf toxisch männliche Verhaltensmuster gestützt und sich Hilfe gesucht.
Beim Lesen des Buches begann ich einige Rückschlüsse zu eigenen Erfahrungen zu ziehen. Und geprägt hat meine Adoleszenz zu einem nicht unerheblichen Teil eben Punkrock.
Wenn wir uns den so genannten Club der 27, dem Ursprünglich Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison und Kurt Cobain angehörten, anschauen, fällt auf, dass er zu einem überwiegenden Teil aus Männern besteht. Auch der Großteil der anderweitig in jungen Jahren über den Jordan gegangener Musiker ist, oder viel mehr war, männlich. An dieser Stelle könnte angeführt werden, dass nun auch die meisten bekannteren Musiker seit jeher männlich sind (Ja auch wenn es sich vielleicht ein bisschen verbessert hat, könnt ihr ja mal durchzählen bei den letzten zehn Bands die ihr auf dem Plattenteller hattet). Das stimmt leider, jedoch korreliert die hohe Zahl an männlichen (Punk-)rockgrößen die sich suizidiert haben mit der signifikant höheren Zahl von männlichen Suizidopfern. Ebenso verhält es sich mit auf andere Art früh verstorbenen.
In Deutschland ist die Rate der Männer die sich das Leben nehmen etwa dreimal höher als bei Frauen. Auch ist die Mortalität junger Männer die anderweitig ein Stelldichein mit Gevatter Tod haben signifikant höher als die junger Frauen.
Beide Erhebungen spiegeln sich leider in meinem persönlichen Umfeld wieder.
Die häufigste nicht natürliche Todesursache bei 15-25 Jährigen Männern ist der Suizid. Das ist ein erschreckender Fakt. Das sollte nicht so bleiben. Als Toxische Männlichkeit wird das traditionelle, gesellschaftlich vorherrschende Konzept bezeichnet, welches Männern schadhafte Verhaltensmuster, Selbstbilder, Rollen- und Beziehungskonzepte zuschreibt. Dazu gehört zum Beispiel die Vorstellung vieler Männer, es als ein Zeichen von Schwäche anzusehen Gefühle wie Trauer oder Angst offen zu zeigen. Gleichzeitig sind sie risiko- und gewaltbereiter während sie alles, was nicht dem Männlichkeitsideal entspricht (beispielsweise Homosexualität) abwerten.
Auch die erhöhte Leistungsbereitschaft bedingt oft, dass eben jene besonders “männlichen” Recken oft schneller Karriere machen und ebenso schneller das zeitliche segnen.
Viele von euch haben vermutlich nun das Bild von einem karrieregeilen Yuppiearsch, der an seinem Steak kauend mit 260 über die Autobahn rauscht vor Augen. Ja, das verstehe ich und es ist auch verlockend, das Ganze eben diesem Menschenschlag zuzuschieben.
Aber so einfach ist es leider nicht.
Während Punk in den frühen Jahren eine Vielzahl queerer Bezüge hatte, ist es im Laufe der Zeit heteronormativer und mackeriger geworden was dazu führte, dass eine Vielzahl von Menschen, die sich in der Szene einen Freiraum jenseits der konservativen Mehrheitsgesellschaft mit ihren Sexual- und Moralvorstellungen erträumt haben, abermals an den Rand gedrängt wurden. Nicht nur bildlich gesprochen sondern vor der Bühne auch im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Entwicklung lässt sich gut nachvollziehen in dem Buch von Philipp, “Homopunk History” aber auch in Filmen wie “Queercore” von Yony Leyser.
Oft prägen heute eine Vielzahl von Riten die gemeinhin als “männlich” gelten die Szene. Dazu gehört zum Beispiel exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum, leichtsinniges und lebensgefährliches Imponiergehabe, Gewalt in verschiedensten Ausprägungen, bis hin zu sexuellen Übergriffen. Dabei rede ich nicht nur von Kassierer- oder Emscherkurve-Konzerten, derlei findet sich in fast allen Bereichen der doch sehr weit ausdifferenzierten Punkszene. An anderer Stelle wird dabei die gepiercte Nase über vergleichbare Dinge gerümpft. Etwa über Initiationsriten bei der Bundeswehr, das mackerige Balzverhalten junger Männer im Urlaub auf Mallorca, das sich nicht sonderlich von dem einiger Punks am Strand von Graal Müritz unterschied, aber unter Umständen auch über das Manipulieren von Frauen mittels einer Vormachtstellung, die auf dem gesellschaftlichen (oder subkulturellen) Status und Einfluss z.B. als Manager (oder Punkrockstar) fußt. Damit bin ich wieder beim Yuppiearsch, der mit seinem Verhalten vlt gar nicht so weit weg ist wie sich der “männliche” Punk vielleicht einreden möchte.
-But Who Am I To Judge!?-
Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, den berühmten moralischen Zeigefinger hoch zu halten. In dieser Position bin ich sicher nicht. Was ich mir jedoch wünsche ist, dass mehr Männer anfangen ihr Verhalten zu reflektieren und in Frage zu stellen. Das ist verdammt noch mal nicht so einfach wie es sich vielleicht liest – nicht zuletzt weil es so richtig punkig contra das Gros der männlichen Mitmenschen läuft. Der vielleicht anstrengendste Part dabei ist es, Gefühle zuzulassen und zu kommunizieren und sich auch Hilfe zu suchen.
“So eine Hippiescheiße” denkst du gerade?
Das ist genau der Punkt an dem du ansetzen kannst. Warum sollten Gefühle den Blumenkindern (lies: Frauen) mit Federn im Haar und Traumfänger vorbehalten sein. (Fast) Jede*r hat sie, jede*r kennt sie trotzdem schaffen es vor allem Männer nicht darüber zu reden. Insbesondere männliche Punks. Wie häufig habe ich gehört, dass der Frust und das traurig sein weg gesoffen wird und hab es auch selber versucht. Es hat nie was gebracht und was noch gravierender ist, nicht selten auch anderen geschadet.
Und zwar nicht “denen da oben”, den Bullen oder gar “dem System” sondern anderen denen es oft ähnlich ging, auch Menschen die mir nahe stehen. Es gibt vermutlich 1001 Punkrocksong der von dem gerade Beschriebenen handelt und selber hab ich es wie gesagt 1001 mal persönlich gehört, heute frage ich mich, warum hab ich eigentlich nie zugehört?
Männer müssen anfangen auch die Gefühle anderer anzuerkennen und nicht klein zu reden. Es ist wichtig Hilfe anzubieten und sei es dabei zu unterstützen professionelle Beratung in Anspruch nehmen zu können. Das allein kann ein Leben retten.
Das sage ich ganz ohne Pathos.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist: sei kein Sexist, sei ein Feminist. Den Anspruch kein Sexist zu sein haben vermutlich die meisten von euch. Hoffe ich jedenfalls. Die Umsetzung dessen fällt zumindest mir nicht immer leicht. Es geht eben nicht nur darum “im Haushalt mitzuhelfen” (Putzen tut tatsächlich gar kein Punk) oder das Wort F***e nicht mehr zu gebrauchen sondern um nicht weniger als die hegemoniale Männlichkeit zu durchbrechen.
Aber in der Szene haben wir doch alle die gleichen Rechte und jede*r kann machen was er*sie will” denkste jetzt? – Ja, ne.
Hört euch mal um wie sicher sich Frauen* vor der Bühne fühlen während des Konzerts und auf der Bühne, wie oft sie schon sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren in den vermeintlichen Save Spaces der AZs und Clubs, fragt euch warum es so wenige weibliche* Punkbands gibt, warum Frauen* öfter an der Garderobe stehen als hinterm Mischpult, warum es so wenige Bookerinnen* gibt und warum eure Platten so selten von Frauen* rezensiert werden. Das gebetsmühlenartig wiederholte Unity-Gelaber darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir von einer tatsächlichen Gleichstellung aller Menschen noch weit entfernt sind. Viele sexistischen “Selbstverständlichkeiten” finden sich auch in der Punkszene wieder, man muss nicht mal lange danach suchen. Wir müssen jedoch auch nicht mehr lange nach entsprechender Literatur oder Blogs suchen um herauszufinden, wie wir unser aller Leben besser machen können.
Punk ist und war Provokation der Herrschenden. Nun hat sich aber seit den Siebzigern einiges getan und nicht wenige der damaligen Rebell*innen können wir heute zu eben diesem Establishment zählen. Die Rolle des Provocateurs haben heute neue Rechte übernommen und durch das Internet in die vormals als gemäßigter geltenden Schichten getragen.
Dem rechten Backlash, der zweifelsohne als Toxische Männlichkeit galore verstanden werden kann, müssen wir also um noch zu provozieren das Gegenteil entgegen halten. Den Anfang dazu kann jeder bei sicher selber machen.
In diesem Sinne – Love yourself
Wenn du häufig dunkle Gedanken hast, auch solche die sich um Suizid drehen, kannst du rund um die Uhr Hilfe finden zum Beispiel bei der Telefonseelsorge, online oder telefonisch unter den
kostenlosen Hotlines 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222.
Die Beratungsgespräche finden anonym und vertraulich statt.
– Roger
Der Autor ist Roger.
Das Interview wurde hochgeladen von Ronja