Zum 40. Todestag von Sid Vicious
Punx not dead, but THE Punk is dead!
Zum 40. Todestag von Sid Viciou. Von Maurice Schuhmann
Die Punkrock-Szene spaltet sich bis heute bei der Frage, wer den Punk „erfunden“ hat. Waren es die Amis mit The Ramones oder die britische Punkband The Sex Pistols unter dem Management von Malcolm MacLaren. Letzterer hat immer wieder – nicht zuletzt in dem Film The Great Rock‘n‘Roll-Swindle (1980) sich selbst zum Erfinder stilisiert. Über die Frage, wann DER Punk starb, herrscht relative Einigkeit – am 2. Februar 1979 in Gestalt von Sid Vicious. Wie kein anderer prägte der 21jährige Bubi aus London den modischen Style des Genres und auch um keinen ranken sich so viele Mythen wie um ihn. Das Bass-Spielen, was er eigentlich bis zu seinem Ableben nie richtig beherrschte, soll er sich anhand einer Ramones-Platte innerhalb einer Nacht beigebracht haben; den Pogotanz soll er auch erfunden haben. Am nächsten kommt wahrscheinlich die zynische Aussage seines Bandkollegen und ehemaligen Freundes Johnny Rotten (Sex Pistols, PiL): „Sid war lediglich ein Kleiderständer auf der Bühne“.
Zu seiner Mystifizierung trägt aber auch der Tod seiner Freundin Nancy Spungen, ein amerikanisches Groupie der Band, bei, weil die Frage seiner Rolle bei ihrer Ermordung nie ganz geklärt werden konnte. Wie über keinen anderen Musiker der Szene gibt es so viele Hommagen wie für ihn – angefangen bei „Sid Vicious was innoncent“ von The Exploited auf dem Album „Troops of Tomorrow“ (1982), über den Song „Love kills“ von den Ramones bis hin zu dem Film „Sid & Nancy“ (1986), einer unter der Regie von Alex Cox gedrehten, subkulturellen Liebesschnulze mit musikalischen Beiträgen u.a. von The Clash-Frontmann Joe Strummer, die die beiden Protagonist*innen zu einem Traumliebespaar stilisierte. Wegen des großen Erfolgs gab es das Ganze später noch mal als Theaterstück mit Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten als Sid Vicious und Meret Becker als Nancy. Bis heute gibt es wohl kaum ein Punk-Teenie-Paar, was sich nicht zumindest zeitweilig mit den Spitznamen Sid & Nancy anspricht. Selbst in einer Folge der Simpsons gibt es eine Anspielung auf ihn und seine Liebesbeziehung zu Nancy. Die deutsche Punkband Molotow Soda nannten in ihrem, den Ausverkauf des Punkrocks geißelnden Song „Kauf den Punkrock“ den Verkäufer in der Nietenabteilung Sid Müller. Eine passende Formulierung….
Bekannt ist von ihm u.a. die Coverversion „My Way“ von Frank Sinatra, die er nach der Auflösung der Sex Pistols unter der strengen Fuchtel von Nancy aufnahm. Der Titel passt nur bedingt. Sein Leben schien nicht unbedingt selbstbestimmt gewesen zu sein. „I did it not my way…“ müßte es wohl besser heißen. Eigene Songs hingegen kann man unter ferner liefen verbuchen.
Er kam am 10. Mai 1957 als John Simon Ritchie in London auf die Welt. Seine Mutter wird als Hippie mit einem enormen Drogenkonsum beschrieben. Bei ihr kam er bereits mit (leichten) Drogen in Kontakt und versorgte sich auch zeitweilig bei ihr damit. Später brachte ihn Nancy Spungen zum Heroin. Nancy war ursprünglich Groupie der New York Dolls gewesen, der Glamrockband, die das Heroin in die britische Punkszene gebracht haben soll. Sie kam nach England, um sich ein Mitglied der Pistols zu angeln. Ihre Wahl fiel auf Sid Vicious, der sexuell völlig unerfahren ihrer erotischen Reizen erlag. Ihr Geld verdiente sie als Domina in London. Durch sie kam er dann zum Heroin. Mehrere Fotos vom Junkie Sid Vicious wurden später zu beliebten T-Shirt-Aufdrucken – sei es Sid, wie er sich einen Schuss setzt oder auf der Bühne mit freiem Oberkörper, in den er sich die Wort „Gimme a fix“ geritzt hat. (Erst später kam der Slogan -“Punx not junks“ in der Szene auf….)
Musikalisch begann seine Karriere 1976 als Schlagzeuger bei Siouxsie and the Banshees, danach als Sänger und Saxophonist bei den Flowers of Romance, einem, nie öffentlich in erscheinung getretenen Vorläuferprojekt von der feministischen Punkband The Slits. Dann löste er im Februar 1977 bei den Sex Pistols Glenn Matlock als Bassist ab. Der offizielle Grund für den Rausschmiß von aus der Band soll dessen Vorliebe für die Musik der Beatles gewesen sein. Anläßlich der Reunion 1996 wurde er wieder in die Band aufgenommen. Nach der Auflösung der Pistols 1978 versuchte Sid sich als Solokünstler – Vicious‘ White Kids. Am Bass stand bei dieser Band ausgerechnet – Glenn Matlock.
Mehr Erfolg als als Musiker hat er als „Model“ und Provokateur. Sein Stil mit einem Schloß um den Hals herumzulaufen ging in die Punkmode ein; seine Provokation mit Hakenkreuz-T-Shirt durch das Marais, das jüdische Viertel von Paris, zu spazieren, schockt bis heute. Aufnahmen hiervon verwendete Julien Tempel in seinem Film The Great Rock‘n‘Roll-Swindle.
Auf die kurzen Höhenflüge erfolgte am der tiefe Sturz. Im Oktober 1978 wurde Nancy Spungen ermordet in einem Hotelzimmer im legendären Chelsea Hotel aufgefunden Am nächsten Tag wurde er als Hauptverdächtiger festgenommen. Ein paar Monate später gibt er sich selber den golden Schuss – im Alter von lediglich 21 Jahren. Den Wunsch seiner Mutter, dass er neben der von ihm vergötterten Nancy beerdigt wird, schlägt die Mutter Nancys ab. Sie wollte nicht, dass der potentielle Mörder ihrer Tochter neben ihr liegt. Somit endet selbst das Leben des Punks in einer Tragödie – und machte ihn gleichzeitig unsterblich. Noch vor seinem 27. Geburtstag, wie man es von anderen Rocklegenden wie Jimmy Hendrix oder Jim Morrison gewohnt ist.
Maurice Schuhmann