Thees Uhlmann: Junkies und Scientologen (Album)
Es wird Herbst in Deutschland. Meteorologisch und auch politisch. Thees Uhlmann bringt dazu jetzt das passende Album raus: „Junkies und Scientologen.“ Mit seinem inzwischen dritten Solo-Album greift der Indierocker deutlich tiefer als zuvor in die Mördergrube Herzen und verabschiedet sich von allerlei Pop-Ballast.
Mit den ersten Auskoppelungen „Fünf Jahre nicht gesungen“ hatte man ja schon so eine Ahnung. „Das Leben ist kein Highway, es ist die B73“ ist wohl die norddeutsche Art zu sagen, dass bei Thees die letzten Jahre persönlich öfter halbleer als halbvoll waren. Andeutungen über Trennung im Text lieferten da bereits Hinweise, dass es diesmal komplizierter wird. Und tatsächlich gab es im damaligen Hochsommer einen repräsentativen Vorgeschmack darauf, was uns wenige Wochen später mit „Junkies und Scientologen“ erwarten sollte. Wer es noch nicht glauben wollte, hatte kurz darauf mit „Avicii“ Beweisstück II auf dem Seziertisch liegen. Den Song über den jung verstorbenen DJ erzählt Thees Uhlmann ungewohnt traurig und wütend. Man könnte glauben, dass die beiden sich seit Jahrzehnten kannten, obwohl sie sich (vermutlich) in ihren jeweils anderen Welten niemals über den Weg gelaufen sind.
Jetzt, wo „Junkies und Scientologen“ vorliegt, möchte man einfach nur fragen: „Thees, Mensch, was los? Hättest doch mal was gesagt!“ Dabei lief es doch so gut: Denn sein Roman „Sophia, der Tod und ich“ verkaufte sich 2016 außerordentlich gut. Und im Gegensatz zum Tonträgerbereich bedeutet hier „außerordentlich gut“ und bekam klasse Kritiken
Doch offenbar schien Thees Uhlmann trotzdem nicht die letzten dreieinhalb Jahre die Sonne aus dem Arsch, was man nun hört (oder er schauspielert es verdammt gut). Klar, ohne eine gewisse Melancholie waren seine Lieder nie. Aber meist war sie doch immer etwas versöhnlicher und löste sich irgendwie positiv am Horizont auf, was hier nur noch im Titelstück zu finden ist. Es wird stattdessen gezweifelt, ob man nicht doch „Hannover“ ist und damit synonym für bundesdeutsche Mittelmäßigkeit. Und auch das ist neu und gut: „Junkies und Scientologen“ ist politischer geworden als die Vorgänger. Thees Uhlmann ist begeisterter Vater einer Tochter, wie man aus Interviews erfahren kann. So erklären sich auch die dezidierten Statements über Männer als Affen und gegen misogyne Schreiber und natürlich das ganze Lied über den Fahrer, der die Frauen nach HipHop Videodrehs nach Hause fährt. Und alle angenervten Idioten, die jetzt was von „Gratismut“ denken oder erzählen, wenn ein eher im linken Spektrum verorteter Musiker antisexistische Statements macht, sollten mal die Diskussion um den Künstler Faber nochmal durchlesen. Auch 2019 kann und muss es solche Statements immer noch geben, auch in der Bubble der eigentlichen „Gutmenschen.“
Und was es auch gibt, sind die schon fast genretypischen „Rückblick“-Songs. Bei Kollege Marcus Wiebusch hat man auch immer wieder das Gefühl, dass er seine Postadoleszenz selbst heute noch in jedem zweiten Kettcar-Song verarbeitet. Auch Thees Uhlmann blickt traditionell gern mal in die alten Tagebücher und singt über Lachse oder vertonte den Wikipedia-Artikel über den 7. März im Allgemeinen. Das findet sich auch auf „Junkies & Scientologen“, wenn es um jugendliches Gruseln zu Steven King geht („Danke für die Angst“), alte Freund*innen („Ein Satellit sendet leise“) oder das Klassiker-Thema verflossene Lieben („Immer wenn ich an dich denke, stirbt etwas in mir“) geht.
Der thematischen Verschiebung macht sich auch musikalisch bemerkbar. Statt „Ohohohooo“-Chorälen und sommerfestivalkompatiblem Poprock klingt das alles dunkler, dreckiger, ja (aufgemerkt, Plastic Bomb-Leser*in!), auch stellenweise nach deutlich punkiger. Das wird in Songs wie „Avicii“ und „Katy Grayson Perry“ deutlicher und wenn ich großzügig bin mit der Punk-Meßlatte auch in „Die Welt ist unser Feld“ und „100.000 Songs.“ Aber insgesamt zieht es sich als Unternote durch das Album, wenn auf einmal die Chaos-Tage in „Hannover“ als Metapher dienen, „die letzten Punks“ im Titelsong des Albums gegrüßt werden oder auf einmal ein ZAP und „Rattengold“ im Musikvideo auftauchen. Dass der Norddeutsche seine musikalische Sozialisation dort erlebt hat, kann als bekannt vorausgesetzt werden.
Aber klar: Es gibt auch die Balladen und Ballädchen auf dem Album, die in den Livekonzerten immer nochmal vor den großen Hits kommen. Macht aber nichts, denn Thees Uhlmann hat mit „Junkies und Scientologen“ sein bisher bestes Album veröffentlicht. Dankeschön!
Philipp Meinert