Tanz den Kommunismus – Feiere den (illegalen) Ostpunk!

Der Titel „Tanz den Kommunismus“, eine offensichtliche Anspielung an den westdeutschen NDW-Hit „Tanz den Mussolini“ von DAF, wirkt auf den ersten Blick nicht sehr kreativ – und auch das Thema scheint erst einmal nicht viel Neues herzugeben – erneut bzw. schon wieder ein Buch über DDR-Punk (gähn!). Wahrscheinlich liegt zu keinem Aspekt der Punkhistory soviel Literatur in deutscher Sprache vor, wie zu DDR-Punk. Gefühlt kommen auf eine Publikation zur westdeutschen Punkgeschichte zehn Publikationen zu DDR-Punk…..

Dennoch, das Werk „Tanz den Kommunismus“ von Henryk Gericke, eines damals in der Punkband The Leistungsleichen (1985-1989) aktiven Musikers, ehemaligen Mitarbeiters von diversen Samisdat-Publikationen und sehr gutem Kenner der Szene, sticht aus der Masse der Veröffentlichungen hervor. Er ist u.a. als Mitinitiator der Ausstellung und des dazugehörigen Buches „too much future -“ (2005-2007) einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Der vorliegende Band ist eine Art Fortsetzung bzw. Ergänzung zu diesem Projekt. Es werden hier ausschliesslich Bands porträtiert, die im Underground und ohne offizielle Spielerlaubnis aktiv waren, d.h. Bands wie Die Skeptiker, die noch zu DDR-Zeiten eine Amiga-Quartettsingle („Die anderen Bands“, 1989) veröffentlichen durften, werden getrost ignoriert. Die Skeptiker als solche tituliert der Autor süffisant dann auch als „punktouchierte Opportunisten“ (S. 21). An anderer Stelle bemerkt über die unter dem Label „Die anderen Bands“ firmierenden Gruppen: „Unter dem Label »Die anderen Bands« profii­tierten ausgerechnet sie von den Punks der Aufbruchsjahre, welche Grenzen für sie einrannten, die sich nach dem Siedepunkt um 1983 nur noch als lockerer Hürdenlauf durch die Instanzen erwiesen“ (S. 147).

Die einzelnen Kapitel lesen sich dabei wie Short Stories, wobei Fakten und Anekdoten eine Symbiose eingehen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Kapitel über die Band, in der er selber spielte. Hier weiss er von dem wohl höchstgelegenen Proberaum derStadt zu berichten. Zuvor gibt es aber ein sehr gutes Einführungskapitel, in dem der Autor die Besonderheiten des DDR-Punks auslotet und letztendlich zu dem Schluss kommt: „Der Arbeiter- und Bauernstaat hämmerte auf diese missratenen Kinder ein und beschnitt ihre Lust, sich frei zu entfalten. Insofern waren Hammer und Sichel als Symbole einer Weltanschauung noch mit einer speziellen Bedeutung aufgeladen. Die Utopie der Alten taugte schließlich nur noch zum Wetzstein für den Sarkasmus der Punks. Ihr Tumult war die befreiende Störung der sozialistischen Ordnung, ihr Pogo ein »Tanz den Kommunismus«.“ (S. 20).

Ein relevanter Nebenaspekt ist die Verbindung von Punk und Poesie, die sich z.B. in Punkprojekten wie Ornament und Verbrechen spiegelte. Undergroundpoeten wie Bert Papenfuß spielten in Teilen der Szene eine wichtige Rolle. Gerike schreibt über ihn: „Papenfuß und [Stefan] Döring [Rosa Extra] leuchteten im Künstlerkosmos des Prenzlauer Berg durchaus als Zentralgestirne und galten kurze Zeit auch als Punkbarden, ohne es je gewesen zu sein“ (S. 32).

In den einzelnen Kapiteln beweist der Autor seine absolute Kompetenz und stellt mit einem an Akribie heranreichenden Eifer die Bandgeschichten und Querverbindungen da. Für Leute, die nicht so tief in der Materie stecken und mit den einzelnen Bands und Protagonisten nicht soviel anzufangen können, wird es wahrscheinlich streckenweise langatmig. Feeling B., Schleim-Keim oder auch L‘Attentat dürften ja hoffentlich zum Kanon der „Punk-Allgemeinbildung“ gehören, aber andere Bands wie Grabnoct oder Andreas Auslauf dürften wohl eher für eine ältere Generation von DDR-Punks noch eine Bedeutung haben. (Auffällig ist dabei auch, dass es kaum female fronted Punkbands gab. Das wäre vielleicht auch noch mal ein aufzuarbeitendes Kapitel….)

Das Werk ist eine wichtige Ergänzung zu den bisherigen Veröffentlichungen zur DDR-Punkhistory und kann als Nachschlagewerk für DDR-Punkbands eine große Rolle spielen. Ohne ein gewisses Grundwissen von der Materie würde ich von der Lektüre des Bandes abraten. Es wird doch von Gericke einiges an Vorwissen von seinen Leser_innen vorausgesetzt. Wer darüber verfügt, wird mit einem sehr informativen und guten Einblick belohnt.

Als besonderes Gimmick beinhaltet das Buch eine umfangreiche (Songs enthaltene) Playlist zum Download als QR-Code.

Maurice Schuhmann

Henryk Gericke: Tanz den Kommunismus. Punkrock DDR 1980 bis 1989, Verbrecher Verlag Berlin 2024, 280 S., ISBN: 978-3957325846, Preis: 20 €.